Kanadisches Wasser

Daniel Danis träumt viel – auf Französisch. Zurzeit ist der Quebecer Dramatiker zu Besuch in Berlin. Sein Stück „Das Lied vom Sag-Sager“ hat heute Abend an der Schaubühne Premiere

von YVES ROSSET

Erst einmal ein bisschen Erdkunde: „500 Kilometer nördlich von Montreal verlässt der Saguenay-Fluss den lac Saint-Jean, um dann 200 Kilometer östlicher in den Saint-Laurent-Fluss zu münden. Am Saguenay liegen mehrere hässliche, amerikanisch aussehende Kleinstädte wie Jonquière, Arvida und Chicoutimi. An der Mündung ist dann der zweitschönste Fjord der Welt zu sehen – der allerschönste liegt allerdings irgendwo hier, im Norden .“ – „Hier? Im Norden Europas?“ – „Na ja, in Norwegen, glaube ich.“

Der Mann, der diese kleine Geografiestunde über seine Heimat gibt, heißt Daniel Danis. Er ist achtunddreißig Jahre alt, er trägt eine feine Hornbrille und er sitzt im Arbeitszimmer von Thomas Ostermeier in der Schaubühne. Daniel Danis hat das Stück „Das Lied vom Sag-Sager“ geschrieben, das heute abend hier Premiere hat.

Es ist das erste Mal, dass ein Stück von Daniel Danis in Deutschland aufgeführt wird, und obwohl „Le chant du dire-dire“ – so der Originaltitel – schon in Montréal und Paris gezeigt wurde, kann es der Quebecer Autor noch gar nicht richtig fassen: „Wenn ich denke, woher ich komme: aus einem Ort, der so entfernt von allem liegt.“

Tatsächlich sieht Danis mit seiner sehr stonegewaschenen Levis-Jacke, seinem blauen Halstuch und seinem hellgelben Hemd irgendwie wie ein Farmer aus Illinois aus (wie übrigens auch ein Bühnenarbeiter, der vorhin an der Pforte der Schaubühne stand). Dass Daniel Danis sich allerdings eher europäisch fühlt, erklärt er mir in seinem charmanten accent québéquois: „In Québec ist man ein bisschen schizophren. Einerseits werden wir von der US-Kultur überschwemt, andererseits fühlt man sich wie ein Franzose.“

Stimmt, ein Europäer: Daniel Danis spricht fast so schnell wie ein Pariser, bewegt dabei unaufhörlich und ausdrucksvoll seine Hände wie ein Italiener und fühlt sich dem deutschen Verhältnis – „effektiv und ernst“ – zur Arbeit sehr nah.

Sein literarisches Universum ist dagegen extrem eigenartig zusammengesetzt. Mythen und tellurische Kräfte, körperliche Erfahrungen von Mystikern und Bewusstseinsveränderungen treffen aufeinander, genau wie Glenn Gould und Heidegger, Einstein und Baselitz: Daniel Danis träumt viel und schöpft aus seinen Träumen das Material für seine Stücke, die er dann langsam, sehr langsam schreibt. Daniel Danis hielt sich nie für einen Schriftsteller. Er liest zum Beispiel keine Romane, sondern ausschließlich Theaterstücke, und auch davon nur wenige. „Insgesamt vielleicht hundert“, sagt er und zeigt als Gegenbeispiel auf das mit Büchern und Manuskriptumschlägen ordentlich überfüllte Regale an der Wand in Thomas Ostermeiers Arbeitszimmer.

Seine Laufbahn hat Daniel Danis als bildender Künstler begonnen. Dass er zum Theater kam, verdankt er seiner Frau, die er liebevoll und mit unfreiwilligem Machismo „ma blonde“ bezeichnet. Vom Beruf ist sie Frisörin und hat jahrelang für das Haushaltsgeld gesorgt. Von ihrem Mann bekam sie Texte von Koltès, Bernhard und Handke zu lesen. Nachdem er ihr dann sein erstes eigenes Stück vorlas, sagte sie: „Das wird den Menschen in Frankreich gefallen.“

Anscheinend gefällt es auch den Menschen in Deutschland. Im September letztes Jahres kam Daniel Danis zum ersten Mal nach Berlin, um die Übersetzungsarbeit mit Uta Ackermann zu diskutieren und mit dem Regisseur Peter Wittenberg ersten Kontakt aufzunehmen. Nachts in seinem Zimmer, erzählt er, habe er „dauernd ein Weinen gehört, ein Geräusch wie von unterirdisch fließendem Wasser“.

Es muss ihm gefallen haben. In Berlin hat Daniel Danis wieder einen seiner Träume gehabt, und plant daher jetzt ein neues Stück, das er gern hier schreiben möchte. Dafür will er aber zuerst etwas ganz Pragmatisches: endlich wirklich Englisch lernen, um sich auch mit den nicht Französisch sprechenden Menschen unterhalten zu können. Zu Hause braucht er nämlich einen Dolmetscher, wenn er mit den Anglokanadiern reden will.

„Das Lied vom Sag-Sager“, Premiere heute, 20 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz