Nagelprobe für den Balkanpakt

„Man macht, was man kann. Was noch nicht geht, vertagt man.“ So beschreibt Bodo Hombach die Arbeit des Stabilitätspakts. Das ist zu wenig

von PAUL HOCKENOS

Wenn Außenminister Joschka Fischer das Lied von den zahlreichen unbeachteten Erfolgen seiner Amtszeit singt, bildet der Stabilitätspakt für Südosteuropa immer die erste Strophe. Und internationale Experten sind sich in der Tat einig, dass Fischers Projekt eines umfassenden Plans für den gesamten Balkan eine absolute Notwendigkeit für die Krisenregion ist.

Es wäre schon zehn Jahre früher eine Notwendigkeit gewesen. Doch den in der Folge des Kosovo-Konflikts ins Leben gerufenen Stabilitätspakt jetzt schon einen Erfolg zu nennen, ist verfrüht. Der letztes Jahr von 30 Staatschefs und 17 internationalen Organisationen bei einem Gipfel in Sarajevo mit großen Worten ins Leben gerufene Pakt leidet an halbherziger Unterstützung durch die Unterzeichnerstaaten, an schlechter finanzieller Ausstattung und ungenügenden Organisationsstrukturen. Für einen Erfolg des Stabilitätspakts ist die Geberkonferenz heute und morgen in Brüssel eine kritische Hürde. Die Initiative benötigt eine Milliarde Dollar für die 122 vorgesehenen Projekte und – vielleicht noch wichtiger – einen Beweis dafür, dass der politische Wille, den man bei der Gründungszeremonie gezeigt hatte, noch existiert.

Eine Alternative zum Flickenteppich der Initiativen

Der Stabilitätspakt ist insbesondere eine langfristige Alternative zu dem Flickenteppich an Initiativen, mit dem die internationale Gemeinschaft in den letzten Jahren auf die Balkan-Kriege reagiert hat. Die Architekten des Pakts betonen, dass es sich hierbei nicht nur um eine weitere Ausführungsagentur handelt, wie die an eine Buchstabensuppe erinnernde Liste von Organisationen, die in Bosnien, im Kosovo und anderswo aus dem Boden sprießen. Er soll eher einen übergeordneten politischen Rahmen bilden, um all die handelnden Akteure auf dem Balkan zu koordinieren und zusammenzuführen. Aufgabe des Paktes ist, eine systematische Reform zu orchestrieren und eine angemessene internationale Haltung gegenüber der Balkanregion von Griechenland bis Rumänien zu entwickeln. „Nachhaltige Langzeitmaßnahmen“ sollen stimuliert und eine gemeinsame Strategie für Wachstum, Stabilität und Verständnis zwischen den Volksgruppen entwickelt werden.

Im 28-Personen-Büro des Stabilitätspakts in Brüssel vergleicht Sprecher Andrew Levy seine Organisation mit einem Servicecenter. „Wir haben hier keine große Bürokratie“, sagt er. „Wir koordinieren hier nur alles, stellen sicher, dass die Grundsätze respektiert werden und dass die Gelder fließen. Wir wollen die Arbeitsteilung erleichtern und hinter den Kulissen wirken, wenn notwendig.“

Der Pakt selbst orientiert sich an den erfolgreichen Vorgängern in Nachkriegseuropa: am Marshallplan, an der Gründung der EWG, am Helsinki-Prozess. Der Schlüssel zu Stabilität ist regionale Integration, das Verbinden der Völker, der Ökonomien und der Sicherheitsinteressen. Mit Anreizen und Verhandlungen ermutigt der Pakt bi- und multilaterale regionale Zusammenarbeit, die die Beteiligten an regionale und internationale Strukturen annähern, einschließlich eines Tages der Europäischen Union. Am Ende soll präventive Diplomatie Krisenmanagement ersetzen.

Hombach, wirklich derrichtige Mann am richtigen Platz?

Bislang, so sagen Kritiker, hat der Pakt wenig Fortschritte in diese Richtung erzielt. Viele bezweifeln, dass der Chef-Koordinator Bodo Hombach der richtige Mann für diesen Job ist. Seine Kenntnisse über den Balkan sind dürftig, seine Managementqualitäten gelten ebenfalls als fragwürdig. Auch mit den komplexen Strukturen der Brüsseler Bürokratie ist er kaum vertraut. Viele fragen sich, ob nicht die Büros des Osteuropa-Kommissars Chris Patten oder Javier Solanas sich der Aufgabe besser angenommen hätten. Die Europäische Kommission und Frankreich, die am Anfang skeptisch waren, sind auch später mit wenig Begeisterung auf den Zug gesprungen. Und eine Initiative, die von einem in Brüssel stationierten Deutschen geleitet wird, dämpft US-amerikanischen Enthusiasmus für das Projekt erheblich.

Ein tieferes strukturelles Problem ist, ob die Hombach-Administration das notwendige Stehvermögen hat, die berüchtigten Grabenkämpfe zwischen den egoistischen internationalen Organisationen und den Geberstaaten zu unterbinden, die schwerer zu befrieden scheinen als die zwischen den verfeindeten Balkan-Staaten. Der Pakt gaukelt eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik vor, die es noch gar nicht gibt. Differenzen zwischen einzelnen Mitgliedsländern, was Sanktionen gegen Serbien angeht, haben das früh deutlich gemacht. Und es bleibt abzuwarten, ob es Hombach gelingt, die notwendigen Euros aus den zögernden Geberländern zu pressen. Kann man von ihm etwa erwarten, Paris dazu zu bringen, OSZE-Missionen auf dem Balkan oder die UN-Polizeikräfte im Kosovo finanziell zu unterstützen? Oder die KFOR anzustacheln, Kriegsverbrecher in Bosnien zu verhaften?

„Der Pakt ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, aber seine Konzeption ist fehlerhaft“, sagt Chris Bannett, Direktor der Europäischen Sicherheitsinitiative, ein in Berlin angesiedelter Think-Tank. „Er hat keine Autorität. Warum sollte irgendjemand das tun, was der Pakt ihm aufträgt? Er droht nur eine weitere bürokratische Stufe zu sein.“

Hombach gibt sich über seine begrenzten Möglichkeiten philosophisch: „Man macht miteinander, was man machen kann. Und was noch nicht geht, vertagt man.“ So kann er immerhin nicht verlieren.

Ein Erfolg des Paktes aus der letzten Zeit war die Lösung des langen Konflikts zwischen Bulgarien und Rumänien über eine neue Brücke über die Donau. Ein zweiter Donauübergang würde die bislang einzige Brücke enorm entlasten – wenn sich die beiden Länder nur über den Ort einigen könnten. Unter dem Druck von Hombach und der EU gab Rumänien schließlich nach. Dafür musste Sofia zusichern, den Stromexport von Rumänien nach Griechenland nicht länger zu behindern.

Ohne demokratischen Überbau versickern die Hilfsgelder

Die Brücke ist nur eins von mehreren kostspieligen Infrastrukturprojekten, die die Europäische Investitionsbank, die langfristige EU-Projekte finanziert, empfohlen hat. Alle Projekte des Stabilitätspakts betonen die regionale Kooperation, Projekte also, an denen mindestens zwei Ländern beteiligt sind. Die Brücke zum Beispiel ist Teil eines größeren Projekts, bei dem eine 180 Kilometer lange Autobahn, die Teil einer europäischen Schnellstraße werden soll, die Istanbul und Thessaloniki über den Balkan mit Deutschland verbindet. Geschätzte Kosten: 550 Millionen Euro.

Das Büro des Pakts in Brüssel besteht aber darauf, dass die Förderung von Demokratie und Sicherheitsstrukturen ebenso wichtig sind wie prestigeträchtige Infrastrukturprojekte. Aber Reinhardt Weisshuhn von Bündnis 90/Die Grünen weist darauf hin, dass zwei Drittel des Geldes an Infrastrukturprojekte gehen. Solche ausgedehnten Prestige-Projekte sind Geldverschwendung, sagt er, wenn der demokratische Überbau, wie etwa ein funktionierendes Rechtssystem, nicht vorhanden ist. „Ich kritisiere die Gewichtsverteilung“, sagt er. In Bosnien etwa seien Investitionen in Millionenhöhe in illegalen Kanälen versickert, weil es noch keine funktionierende Rechtsprechung gab.

Der schwerfällige Start des Paktes beschädigt bereits seine Glaubwürdigkeit auf dem Balkan. Sollte der Stabilitätspakt scheitern, hätte die internationale Gemeinschaft erneut einen teuren, ineffektiven, bürokratischen Koloss am Hals – genau das, was der Pakt nicht sein sollte.