Der grüne Rebell und die Penner

Das letzte Buch? Zehn Jahre her. Die Künstlersozialkasse? Hat ihn ausgeschlossen. Nun kann Ulrich Hoppe kämpfen. Was sollte ihn auch aufhalten?

aus München KONRAD LISCHKA

Wie ein General der Südstaaten am Ende des Bürgerkriegs steht Ulrich Hoppe da. Der Wind lässt die Enden des schwarzen Ledermantels umherschlagen, die langen weißen Haare flattern gegen den ins hagere Gesicht gezogenen Cowboyhut. Seit Jahren kämpft der 56-Jährige gegen den Rest der Welt, seit Mitte November gegen die Stadt München.

Sechs Obdachlose lässt er in Bauwagen auf seinem Acker wohnen. Die Stadt droht mit Räumung, hat 34.800 Mark Zwangsgeld wegen ungenehmigter Nutzung gegen ihn verhängt. Warum? Ganz in der Nähe sollen Reihenhäuser und Badesee der neuen Messestadt entstehen – Penner sind da wohl unerwünscht.

Hoppe stützt den Lederstiefel auf einen der Steinbrocken vor seinem Bauernhaus, schaut die Straße des 105-Seelen-Dorfs Gronsdorf entlang, dann hinaus zum Acker mit den Wohnwagen. „Sie wollen mich fertig machen wie damals Baader-Meinhof. Es geht um das Machtmonopol des Staates.“ Die Wut in Hoppes Stimme ist echt, aber sie klingt erkaltet, abgenutzt. Wie ein Talisman, den man allein aus Gewohnheit trägt. „Ich bin wie ein Stein. Der Gerichtsvollzieher kann mir nichts wegnehmen, ich habe nichts.“ Der Ledermantel und die Stiefel sind vom Wertstoffhof, die taz kommt wegen 190 Mark Zahlungsrückstand nicht mehr, das Haus heizt Hoppe mit Holz.

Vor zehn Jahren verdiente Hoppe gut als Schriftsteller und Journalist. In einer der niedrigen, kalten Bauernstuben liegen seine Bücher. Staub ruht auf ihnen, einige sind von der Feuchtigkeit aufgequollen. Hoppe greift ein Buch aus einem der Haufen. „Die Marx Brothers“, 1985 in der Heyne-Filmbibliothek erschienen. „Da hab’ ich in Schleswig-Holstein in alten Dokumenten die Vorfahren der Marx Brothers ausgegraben“, sagt Hoppe. Er hockt auf dem Boden, streicht mit der Hand über die Originaldrehbücher von Dallas. Überbleibsel der Recherche für ein anderes Buch. Hoppes letzte Arbeit liegt auf dem Fußboden. Erschienen 1991. Ohne seinen Namen. Für 1.600 Mark hat er das Witzbuch „Manni, dein Manta brennt“ überarbeitet. „Ein Scheißjob“. Wieder liegt die kalte, Normalität gewordene Wut in Hoppes Stimme. „1997 hat mich die Künstlersozialkasse rausgeworfen, ich war unter dem Mindesteinkommen.“ Und fragt: „Wie kann das sein, dass sie einen Künstler rauswerfen, wo sie doch zum Auffangen da sind?“

Hoppe klopft auf ein Stehpult, das mit Jacken und Papieren beladen ist: „Da habe ich drauf geschrieben.“ Allzu oft sitzt er nicht im Kaminzimmer. Das ist Vergangenheit. Die Zeit als Polizeireporter bei der B.Z., die Jahre für Bravo in London, die Jahrzehnte als Autor für den Heyne Verlag. Oder sein Horrorroman „Tjack“. Es ging um Kinder aus Adolf Hitlers konserviertem Samen. Und die „erotischen Romane“ unterm Pseudonym Robin Vomp. „Da musste auf jeder dritten Seite gevögelt werden.“ Hoppe geht so schnell, dass die Enden des Ledermantels auch ohne Wind hinter ihm herwehen. Leere und volle Weinflaschen stehen im Gang, alte Spraydosen, sauberes und dreckiges Geschirr an der Spüle. Der Boden ist mit gesplitterten Marmorstücken ausgelegt, die gibt es umsonst beim Steinmetz. Hoppe tritt in den einzigen warmen Raum des Hauses und lacht zum ersten Mal spontan drauflos: „Heute schreibe ich keine Bücher mehr, ich lebe sie.“

Im Wohnzimmer bullert der Kanonenofen. Die Wände grün, das Sofa grün, in den zwei kleinen Fenstern drängen sich Pflanzen dem Licht entgegen, Bücher und Ficusse lassen kaum Platz im Zimmer. Stolz zeigt Hoppe seinen Eintrag im Secondhand-Führer: „Ulis Gnadenhof für Pflanzen“. Ein Gnadenhof. Für die armen Pflanzen, die sonst einfach so auf dem Müll landen würden. „Die Menschen sind schrecklich“, sagt Hoppe. Es klingt wie ein Knurren.

Er entspannt sich. Noch nie habe er so viele nette Menschen getroffen wie hier. Dafür, dass er zwei Palmen über den Winter bringt, bekommt er 280 Mark von einem Herrn aus dem edlen Schwabing. Als Pflanzenvater ist Hoppe bekannt und geachtet. „Ich war sogar in Flieges Talkshow. Thema: Ich rede mit meinen Pflanzen.“ Da kann Hoppe sich ein schiefes Grinsen nicht verkeifen. Aber es ist ein glückliches. Wie das, als er von seinem Acker erzählt. Die 86-jährige Bäuerin Maria hat ihm den verpachtet. Sie will keine feste Pacht, nur etwas vom Gewinn, wenn es denn mal welchen gibt. „So eine liebe Frau, die verkauft nicht an die Stadt und Spekulanten, sie vertraut mir, dass ich was Vernünftiges draus mache.“

Erst sollte es eine Schrebergartensiedlungs werden. „Versuchen sie mal in der Stadt einen grünen Fleck zum Atmen zu kriegen“, sagt Hoppe. Als die Stadt Ärger machte, zogen die 18 Mieter weg. „Spießer waren das. Feige und faul, haben ihre alten Wohnwagen da einfach stehen lassen.“ Hoppe zürnte, machte einen Gnadenacker aus dem Feld. Für Pflanzen, die sonst der Bagger für Neubauten umgemäht hätte. Pflaumen, Rosen, Buchen.

Und dann kamen im Herbst Obdachlose, bezogen die verlassenen Wohnwagen. „Sie haben in zwei Tagen den ganzen alten Krempel der Spießer aufgeräumt. Anständige Menschen sind das. Und die Stadt will sie nicht dort wohnen lassen. Wen stören sie denn?“ Hoppe zeigt auf die grünen Cowboy-Hüte, die an der Wand hängen: „Grüner Rebell nennen sie mich hier.“ Hoppe genießt das Wort, spricht es langsam, rollt das R.

Hoppe muss auf den Acker, nach seinen Freunden sehen. „Das Leben hier draußen ist meine heimliche Geliebte“, sagt er. Der schwarze Pick-up holpert aus dem Dorf. Der Briefträger steht an einem Gartentor, plaudert. Hoppe drückt auf die Hupe. Winken, Lachen. „Die Leute mögen mich, weil ich gegen die Stadt kämpfe, was sie wollen, aber nicht wagen.“

Ein Zaun, zwischen Gnadenacker und Messestadt. Hoppe zeigt hinüber. Badesee und Reihenhäuser sollen dorthin. In der Ferne sieht man die gläserne Fassade der neuen Messe auf dem Gelände des alten Flughafens Riem. Auf dieser Seite des Zauns stehen Wohnwagen, ein Schild verkündet „Deutschlands erste Ackerbesetzung“. Zwischen den Wagen taucht ein schwarzer Hund auf, bellt. Hoppe ruft nur: „Hallo Saskia.“ Die Hündin kommt, leckt seine Hand, läuft an seiner Seite zum Camp, zu ihrem Herrchen. Norbert begrüßt „den Uli“ per Handschlag. Er streicht durch seinen schwarzen Bart mit den für 40 Jahre vielen grauen Einsprengseln, bittet Hoppe in seinen Wohnwagen. Norbert schreibt. Auf einer beigen Olympia-Schreibmaschine von 1974. Einen Artikel für BISS, das Münchener Straßenmagazin. Mit dem Geld, das er als BISS-Verkäufer verdient, finanziert er das Hundefutter. Er plaudert mit Hoppe. Über die Straßenmagazin-Verkäufer am Marienplatz, die keine Konkurrenz dulden, über die neuen Herrchen der acht Welpen von Saskia.

Wie beim Sonntagskaffeekränzchen tingelt Hoppe von Wagen zu Wagen. Weiche Gesichtzüge, Glatze, ein paar braune Haare an den Seiten – Jesus kommt lächelnd auf Hoppe zu. Jesus. So nennt Peter sich. Er hat den Obdachlosen-Selbsthilfe-Verein „Ameise“ gegründet, er sammelt gestrandete Jugendliche von der Straße auf, lässt sie auf dem Gnadenacker übernachten und bemüht sich dann mit den Behörden um Kontakt zu den Eltern. Und er liest nichts außer der Bibel. Als Jesus noch Peter Kranawetvogl war, arbeitete er als Koch im „Vier Jahreszeiten“ in Berchtesgarden. Zwei Nervenzusammenbrüche später saß er auf der Straße. Wieder ein Gruß per Handschlag. Jesus führt Hoppe stolz in den frisch aufgeräumten Wohnwagen für Notfälle. Die Schränke sind sauber beschriftet: „Pullover, Unterwäsche, Hundefutter.“ Im Gästebuch bedankt sich „Glöckchen“. „Mich hat niemand gefragt, ob ich leben will, also hat mir auch niemand zu sagen, wie ich leben soll“, hat sie dazugeschrieben.

Hoppe hat schlechte Nachrichten. Zusammen mit Jesus hatte er der Stadt den Kompromissvorschlag gemacht, die Zahl der Obdachlosen auf sechs zu beschränken und bis Juli eine neue Unterkunft für sie zu suchen. Die Stadt aber beschied: „dass die Mitteilung, die Obdachlosen und deren Hunde werden ab Mitte Juli eine angemessene Unterbringung in Aschheim gefunden haben, wie auch der Aktionsplan des Herrn Hoppe nicht ausreichen, die Vollstreckung des am 15. 11. 1999 fällig erklärten Zwangsgeldes auszusetzen. Hinsichtlich der Unterbringung der auf o.g. Grundstück wohnenden Obdachlosen wurde das Sozialreferat, Fachstelle zur Vermeidung und Behebung von Obdachlosigkeit, über den Sachverhalt informiert.“

Jesus wird nie in einer Sammelunterkunft übernachten: „Da kommt man nur mit Alkohol und Krankheiten in Kontakt. Hoppe schaut lange Norbert an. „Und wenn sie die Polizei hierher schicken?“ Norbert sagt: „Die Hunde werden uns verteidigen. Wenn sie mich von Saskia trennen wollen, müssen sie mich töten.“ Hoppe hat die kalte Wut in der Stimme: „Wir machen keine Kompromisse mehr. Ladet ruhig noch mehr Leute ein, damit sie hier wohnen. Wir haben das doch nur wegen der Stadt beschränkt, aber die lassen sich auf nichts ein.“

Hoppe stapft zum Pick-up, streichelt im Vorbeigehen den Rosenstrauch, den er für eine alte Dame pflegt, die ins Altersheim kam. „Ich bin so froh, kein Einzelkämpfer mehr zu sein.“