Betr.: Interview mit Johannes Caspar

taz: Wie ist der momentane Rechtsstatus der Tiere?

Dr. Johannes Caspar: Die herrschende Meinung und die Rechtsprechung begreifen den Tierschutz nicht als grundgesetzlich gesichert. Das bedeutet, dass der Themenkomplex in vielen Bereichen in der Luft hängt, weil die verfassungsrechtliche Basis fehlt.

Was ist Ihre Position?

Es wäre ein Fortschritt, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern. Das gilt weniger für die agrarindustrielle Tierhaltung, wohl aber für die Wissenschaft. Die Forschungs- und Lehrfreiheit genießt durch die Aufnahme in den Grundrechtskanon unserer Verfassung einen besonderen Schutz und hat daher einen höheren Rang als das geltende Tierschutzgesetz. Die Wissenschaftsfreiheit lässt sich nur durch die Installation des Tierschutzes im Grundgesetz einschränken. Ohne die Einführung des Tierschutzes in die Verfassung laufen die gesamten Vorschriften zum Tierversuchsrecht leer. Das zeigen einschlägige Urteile in diesem Bereich.

Hat der Tierschutz Ihrer Meinung nach keinen Verfassungsrang?

Doch. Ich vertrete die Auffassung, dass der Tierschutz aus dem Verfassungsprinzip der Menschenwürde folgt. Denn die Menschenwürde begründet nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die Vereinnahmung der Tiere durch die moderne Industriegesellschaft fordert, der Verantwortung für die leidensfähige Kreatur nachzukommen. Leider wird meine Auffassung von der Rechtsprechung nicht geteilt, so dass eine ausdrückliche Aufnahme in das Grundgesetz notwendig ist.

Haben die Väter des Grundgesetzes den Begriff „Würde“ auch auf Tiere bezogen?

Das wäre überinterpretiert, aber rechtsethische Begriffe sind in hohem Maße einem geschichtlichen Wandel unterworfen. So haben wir in den vergangenen Jahren eine Ökologisierung des Rechts erlebt. Viele Menschen begreifen mittlerweile auch den Tierschutz als etwas Wichtiges. Diese Auffassung hat sich bereits in einer veränderten Gesetzgebung niedergeschlagen. In § 90a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird das Tier ausdrücklich nicht mehr als Sache definiert. Das ist ein Fortschritt. Und in § 1 des Tierschutzgesetzes ist sogar die Rede von Tier als Mitgeschöpf.

Gibt es weitere Möglichkeiten, den Rechtsstatus der Tiere zu stärken?

Mit dem Tierschutz befasste Verbände müssten die Rechte der Tiere treuhänderisch einklagen können. Die Treuhänderschaft ist erforderlich, weil es nicht um gesellschaftliche Interessen geht, sondern die Eigenrechte von Tieren, nicht beliebig Gegenstand von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen der Menschen zu sein. Dazu bedürfte es übrigens keiner neuen gesetzlichen Regelung, nur einer anderen Auslegung des jetzigen Tierschutzgesetzes.

Wird der rechtliche Status der Tiere in Zukunft weiter aufgewertet?

Die Initiativen zur Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz zeigen, dass viele Menschen das Thema als eine wichtige Angelegenheit für das Gemeinwesen betrachten. Auch das EU-Protokoll von Ams-terdam nimmt ausdrücklich Bezug auf den Tierschutz. Das sind Dinge, die beweisen, dass sich etwas bewegt. Leider geht das sehr langsam, weil die Politiker noch nicht so weit sind. Das gilt insbesondere für die langjährige Diskussion um die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung.

Welche Parteien blocken?

Vor allem die CDU. Um die notwendige Zweidrittel-Mehrheit für eine Verfassungsänderung zu erlangen, müsste sich auch eine Reihe von Unions-Abgeordneten dem Anliegen des Tierschutzes anschließen.

In welcher Form sollten bei einer Novelle des Tierschutzgesetzes die Interessen der Tiernutzer berücksichtigt werden?

Das Problem ist ja, dass wir bereits eine anthropozentrische, also auf den Menschen ausgerichtete Rechtsordnung haben. Die in der Verfassung verbürgten Grundfreiheiten sind Tiernutzungsfreiheiten. Das in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes geregelte Wissenschaftsgrundrecht ist vorbehaltlos und berechtigt beispielsweise, mit Tieren zu experimentieren. Und die in Artikel 12 festgeschriebene Berufsfreiheit ermöglicht, Tiere zu halten, zu vermarkten, zu schlachten und mit ihnen zu handeln. Das sind alles Grundrechte der Tiernutzer.

Interview: Volker Stahl