die stimme der kritik
: Betr.: Buchmesse

DIE BÜCHERSCHLACHT VON LEIPZIG

Alles begann damit, dass ein Vertreter des Holtzbrink-Verlages mal zu Bertelsmann rüberschlenderte, einen Bestseller aus dem Regal nahm und „Unverkäufliches Mängelexemplar“ quer über den Titel malte. Da staunten die Bertelsmänner. Aber schon bald schlugen sie zurück. Sie produzierten nur noch windschnittige, flugfähige Buchmodelle und bewarfen damit die Kollegen der Verlagsgruppe Econ Ullstein List. Droemer Weltbild igelte sich derweil hinter einem riesigen Turm von Stephen-King-Romanen ein. Vergeblich. Wagenbach nutzte die Gunst der Stunde, rief „Kanon! Kanon“ und brachte den Turm zum Einsturz. Fast jedenfalls.

Daraufhin eskalierten die Ereignisse. Hanser kaufte ungerührt noch ein paar Schweizer Verlage auf. Rowohlt deckte alles mit internen E-Mails zu. Die Zeit druckte einfach den Buchmessenaufmacher vom vergangenen Jahr noch einmal nach. Suhrkamp war beleidigt, weil man nicht mitspielen durfte. Luchterhand schaffte Teile des eigenen Verlages gleich selbst ab. Aufbau nebelte alles mit Zigarrenrauch ein. Als schließlich die Stunde der engagierten Kleinverleger schlug, war alles zu spät: Ein jeder schubste den anderen aus seiner Nische. Nur der Wallstein-Verlag, der aus dem Vorgefallenen ein wunderschönes Buch machen wollte, wurde geschlossen niedergebuht. Und niemand, aber wirklich niemand mehr redete über Bücher. Die beschlossen daraufhin die Ausreise, marschierten geschlossen aus den Hallen zwei und drei durchs schöne Messefoyer, kamen aber nur bis zum Messesee, wo sie eins nach dem anderen in den Fluten ertranken.

DIRK KNIPPHALS