Gesucht: Öko-Haftung

Das EU-Weißbuch zur Versicherung gegen Umweltschäden hat trotz guter Ansätze noch Mängel, meinen Umweltexperten: Es beschränke sich auf zu wenig Gebiete und Ansprüche

von MAIKE RADEMAKER

Wenn sich in einem EU-Land Giftbrühe in ein Naturschutzgebiet ergießt, dann muss jemand daran schuld sein – und auch zahlen. Diesen Gedanken, dass es neben einer Haftung für Eigentums- und Personenschäden auch eine für ökologische Schäden geben sollte, hat EU-Umweltkommissarin Margot Wallström erstmals in einem Strategiepapier formuliert und im Februar als Weißbuch veröffentlicht. Gestern nun diskutierten in Berlin Experten aus Wirtschaft, Umweltschutz und der Versicherungsbranche die Vorschläge.

Bisher gab es in keinem Land der EU Haftungsregeln für ökologische Schäden. Wallström schlägt in ihrem Weißbuch nun gleich eine einheitliche, gemeinschaftlich geltende Regelung vor. Die „Haftbarmachung für Aktivitäten, die Umweltrisiken beinhalten“, soll vor allem die Verantwortlichen dazu bringen, eine Vorsorge zu treffen.

Wirtschaftsakteure sollen sich für „mögliche nachteilige Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Umwelt“ verantwortlich fühlen, heißt es in dem Papier. Allerdings greift die Umwelthaftung nur dann, wenn feststellbare Verursacher vorhanden sind, der Schaden messbar ist und ein ursächlicher Zusammenhang aufgezeigt werden kann. Genau an diesen Parametern setzten die Experten in Berlin mit ihrer Kritik an.

Wesentliche Fragen, so Christof Sangenstedt vom Bundesumweltministerium, seien bei dem „durchaus begrüßenswerten Ziel“ nicht geklärt. Dazu gehöre neben der Beweislast auch die Deckungsvorsorge. Bisher sei offen, wie überhaupt ein Schaden in einem Naturschutzgebiet berechnet werden könne. Solange keine Berechnungsmodelle für immaterielle Schäden wie den Verlust einer Tierart vorlägen, könnten Versicherungen auch potenziellen Schädigern keine Modelle für eine Deckungsvorsorge anbieten.

Auch die Umweltschützer sind zwar mit der „einschneidenden“ Idee des Buches, nicht aber mit den Details einverstanden. Die vorgeschlagene Haftung beziehe sich lediglich auf Naturschutzgebiete, die als Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Gebiete gemeldet würden, sagte Helmut Röscheisen, Geschäftsführer vom Deutschen Naturschutzring (DNR). Das seien in der Bundesrepublik gerade einmal drei Prozent der Landesfläche – das reiche nicht aus. Außerdem würden lediglich „erhebliche Schäden“ einbezogen, eine solche Festlegung lasse der Landwirtschaft weiter freie Hand für Verschmutzungen.

Röscheisen empfahl, auch Schäden aus diffusen Quellen zu erfassen und den Unternehmen eine Versicherungspflicht aufzuerlegen, statt ihnen, wie in dem EU-Vorschlag, die Entscheidung darüber freizustellen. Auch Banken, die sich an Investitionen beteiligen, sollten in die Haftung einbezogen werden.

Sowohl beim Bundesverband der Deutschen Industrie als auch bei den Versicherungen stößt die Initiative der Kommission auf tiefes Misstrauen. Ein neues EU-Gesetz, so Jan Wulfetange vom BDI, solle nicht über das in Deutschland seit 1990 existierende Haftungsrecht hinausgehen. Rolf Krug, Vertreter des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft, zweifelte grundsätzlich an, ob sich angesichts der offenen Fragen überhaupt eine Versicherungsmarkt entwickeln werde. „Man sollte sich darauf beschränken, herkömmliche Schäden und Haftungen europaweit zu harmonisieren, damit haben wir genug zu tun“, wehrte er ab.

Nicht nur, weil es noch so viel offene Fragen gibt, wird es dauern, bis aus dem Vorschlag tatsächlich eine Richtlinie wird. Die Bundesregierung will bis Juli noch Meinungen bei den Ländern und den Verbänden einholen, die EU verschiedene Studien durchführen. Vor Ende 2001 sind keine konkreteren Ergebnisse zu erwarten.

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