Kein Freundschaftspiel

Unfall oder Mord? Mit den Mitteln des Reality-TV geht der Dokumentarfilm „Tod dem Verräter“ dem Fall des 1983 im Westen getöteten DDR-Fußballers Lutz Eigendorf nach (21.45 Uhr, ARD)

von GUNNAR LEUE

Kann ja sein, dass der westdeutsche Fernsehzuschauer (der nun mal die Mehrheit auch des Quotenvolkes stellt) immer noch seinen heimatlichen Bezug braucht, um die Bedeutung eines Ost-Produkts zu erahnen. Dass aber der WDR den ehemaligen DDR-Fußballspieler Lutz Eigendorf postum zum „Beckenbauer des Ostens“ erklärt, ist erstens total daneben (wenn schon, dann war es „Dixie“ Dörner) und zweitens nicht besonders gut für den derart beworbenen Film. Einfach, weil die für das behandelte Thema eher nebensächliche, für ostdeutsche Fußballkenner jedoch oberpeinliche Fehleinschätzung den Autor des Films – unnötigerweise – in den Ruch partieller Inkompetenz bringen kann.

Was insofern heikel ist, als es hier gar nicht so sehr um Fußball geht, sondern um die Stasi. 1979 nämlich war DDR-Nationalkicker Lutz Eigendorf nach einem Freundschaftsspiel seines Klubs BFC Dynamo, des Lieblingsvereins von Stasi-Chef Mielke, beim 1. FC Kaiserslautern nicht wieder in die DDR zurückgekehrt. Zunächst bekam er einen Vertrag beim FCK, später ging er zur Eintracht nach Braunschweig, wo er am 5. März 1983 bei einem Autounfall ums Leben kam. Im Blut wurden 2,2 Promille Alkohol festgestellt, die Sache schien eindeutig. Die Ermittlungen wurden rasch eingestellt, woran auch die auftauchenden Gerüchte über die Involvierung der Stasi nichts änderten.

Mord als Exempel

Bis sich vor einigen Jahren Fernsehautor Heribert Schwan des Falles annahm. Bei seinen Recherchen zu einer Doku über Erich Mielke war er 1997 auf das Thema gestoßen und hat seitdem allerlei Beteiligte von damals befragt. Bundesligatrainer Jörg Berger, ebenfalls ein DDR-Flüchtling, mochte zwar aus immer noch vorhandener Angst vor Stasi-Leuten kein Wort sagen, andere aber waren gesprächiger: Eigendorfs erste Frau Gabriele etwa, die er mit dem gemeinsamen Kind in Ostberlin zurückgelassen hatte, aber auch seine später im Westen geheiratete zweite Frau Josi sowie ein anonymer Stasi-Offizier. Der berichtet, dass Eigendorfs Todesurteil letztlich nach einem ARD-Fernsehinterview erfolgt sei, in dem der Spieler das Verlassen der DDR als absolut richtige Entscheidung pries – was der rachsüchtige BFC-Mäzen Mielke als ganz persönliche Schmach empfunden hätte. Im vertrauten Kreis soll der MfS-Chef – einen schriftlichen Beweis dafür gibt es freilich nicht – Eigendorfs Liquidierung als abschreckendes Exempel auch für andere DDR-Spieler gefordert haben. Nicht zuletzt, weil ein Freundschaftsspiel des BFC Dynamo beim VfB Stuttgart unmittelbar bevorstand.

Wie sehr Eigendorfs Republikflucht die Stasi schmerzte, zeigte sich an dem sofort gesponnenen Spitzelnetz um dessen Eltern und Frau Gabriele. Auf die Gattin wurde ein IM als Romeo angesetzt, den sie nach der erzwungenen Scheidung von Lutz Eigendorf später sogar heiratete (und von dem sie ein Kind bekam). Derweil kümmerte sich das MfS mit einheimischen Stasi-Spitzeln und zwei IM, die eigens in den Westen übergesiedelt waren, ebenfalls um Eigendorf selbst. Am Abend des 5. März 1983 endete der Einsatz des MfS, so will es Schwans Film, damit, dass ein fremdes Auto an der Unfallstelle den entgegenkommenden Lutz Eigendorf in seinem Wagen mit Fernlicht blendete und ungebremst an einen Baum rasen ließ.

Eine Story also wie bei James Bond, was den Dokumentaristen Schwan offenbar auch zu einer etwas reißerischen Aufmachung des Films animierte. Gezeigt wird eine Art Reality-TV, was Schwan, in vorauseilender Rechtfertigung als Zugeständnis an das angestrebte Massenpublikum verstanden wissen will – auch wenn es ihm eigentlich um die Aufdeckung der Stasi-Strukturen gehe.

Insofern hat der Autor Glück, dass er den Film nicht wie geplant schon vor einem Jahr senden ließ. So kann er zu den vielen Mutmaßungen Außenstehender und anonymen Aussagen befragter Ex-MfSler noch ein ganz wichtiges Indiz präsentieren.

Stasi-Akten als Beweis

In Stasi-Akten über die Anwendung von Giften und Gasen bei Menschen fanden sich Hinweise auf den Namen Eigendorf. Auch ohne hieb- und stichfesten Beweis für den Auftragsmord ist Heribert Schwan überzeugt, dass die Stasi den Tod von Lutz Eigendorf inszeniert hat. Er glaubt sogar, den Mörder zu kennen. Eine Steilvorlage nicht nur für Bild-Zeitung, die gestern aus dem ARD-Programmhinweis eine dicke Seite-1-Schlagzeile („Eigendorf: Tod durch Stasi-Gift“) für ihre Ost-Ausgabe bastelte, sondern auch für die Staatsanwälte, den Fall noch einmal aufzurollen.