An der Quelle der toten Flüsse

Wenn es regnet, laufen die Stauseen rumänischer Bergwerke voll giftigem Abraum über. In Europas Armenhaus ist Umweltschutz Nebensache

aus Baia Borsa WOLFGANG GAST

Wie ein riesiges V klafft der Riss in dem 25 Meter hohen Damm. Nutzlos ragt auf der verschneiten Krone des Stauwehrs ein verbogenes, dreißig Zentimeter starkes Metallrohr in den Himmel. Es wurde abgerissen, als die Staumauer im nordrumänischen Bergwerk Baia Borsa brach. Am Fuß der Staudamms schiebt ein Bagger den verseuchten graugrünen Schlamm zur Seite, das Raupenfahrzeug schlägt eine Bresche zu der Stelle, an der sich am 10. März rund 150.000 Kubikmeter schlammhaltiges Wasser ihren Weg aus dem Stausee brachen.

Seit Tagen hatte es geschneit und geregnet, die Meteorologen registrierten täglich bis zu 38 Liter Niederschläge pro Quadratmeter. Es waren Regenfälle, wie sie sonst nur „einmal in 1.000 Jahren fallen“, hatte in Bukarest der Staatssekretär im Umweltministerium, Anton Vlad, erläutert.

Das Unglück, das eigentlichnicht geschehen konnte

Der Dammbruch in Baia Borsa war bereits die zweite Umweltkatastrophe in einem rumänischen Bergwerk in diesem Jahr, die durch die starken Niederschläge ausgelöst wurde.

Überraschend und für die Jahreszeit ungewöhnlich hatte auch noch die Schneeschmelze eingesetzt. Der Wasserspiegel in dem 18 Hektar großen Klärbecken von Baia Borsa stieg und stieg. Zur Katastrophe kam es schließlich, als das Wasser die Pumpstation erreichte. Um einen Kurzschluss zu vermeiden, mussten die Mitarbeiter der Mine die Elektromotoren abschalten, die Wasser aus dem Klärsee pumpten. Gegen 10.30 Uhr schwappte dann die schlammhaltige Brühe über das Wehr, auf einer Breite von 25 Meter riss die Flut den Staudamm ein. Zwei kleinere, talabwärts gelegene Dämme wurden ebenso weggespült. 40.000 Tonnen taubes Gestein, mit den Schwermetallen Blei, Kupfer und Zink stark belastet, wurden zusammen mit dem Wasser aus dem Stausee ausgespült. Der Abraum verseuchte erst das rumänische Flüsschen Viseu, dann im benachbarten Ungarn den zweitgrößten Fluss des Landes, die Theiß.

Rumäniens Umweltminister Romica Tomescu steht mit Gummistiefeln im Schlamm und erklärt der deutschen Umweltstaatssekretärin Gila Altmann die Ursachen des Unglückes. Sechs Wochen nach der ersten Umweltkatastrophe im 150 Kilometer westlich gelegenen Baia Mare, bei der 100.000 Kubikmeter einer zyanidhaltigen Giftlauge erst die Theiß und dann die Donau verseuchten, ist die parlamentarische Staatssekretärin der Grünen mit einigen Mitarbeitern aus dem Bundesumweltministerium, dem nordrheinwestfälischen Landesumweltamt und dem Außenministerium angereist. Die kleine Delegation führt Gespräche mit Behörden und Umweltgruppen, der Einsatz einer mobilen Messstation des Technischen Hilfswerkes wird kurzfristig organisiert.

Neunzig Prozent aller Industrie in der Region Maramures ist vom Bergbau abhängig, referiert Umweltminister Tomescu vor den Trümmer einer Pumpenstation. Anfangs hatte sich der Minister gegen einen Ausflug in den von Bukarest 600 Kilometer entfernten nördlichen Karpatenbogen gesperrt. Zuviel Schnee und zuviel Regen; selbst schwere Laster mit Schneeketten seien nicht in der Lage, die verschneite, 13 Kilometer lange Zufahrtsstraße voller Schlaglöcher zum abgelegenen Stausee zu passieren. Dass der Besuch in Baia Borsa dann doch zustande kommt, ist der Hartnäckigkeit der Staatssekretärin, dem Organisationstalent der deutschen Botschaft, dem Aufklaren des Wetters und dem Nachgeben Tomescus geschuldet. Er wird am Ende der Reise zu Altmann sagen: „Ich wollte Ihnen helfen, die Dinge zu verstehen, so wie sie sind.“

In Baia Borsa, das noch zu Zeiten des großen „Conducators“ Ceauçescu errichtet wurde, werden vor allem die Metalle Blei, Kupfer und Zink gefördert. Das aus den transsilvanischen Bergen gehauene Gestein wird zu feinem Staub gemahlen und mit Wasser zu einem Brei verrührt. In einem so genannten Flotationsverfahren wird das Metall anschließend angereichert und abgetrennt. Zurück bleibt eine Brühe voll taubem Gestein, das zur Klärung in den Stausee gepumpt wird.

Der Abraum setzt sich in dem Sedimentbecken ab, das Wasser wird bergauf gepumpt und wieder bei der Erzgewinnung eingesetzt. Im Prinzip ein geschlossenes System. Im Prinzip. Dass allerdings nicht berücksichtigt wurde, was geschieht, wenn durch einen Unfall oder außergewöhnliche Niederschläge das Wasser aus dem Stausee nicht abgepumpt werden kann, war ein entscheidender Konstruktionsfehler, gibt jetzt Bergwerksdirektor Augstin Spataru zu Protokoll. Ein Überlaufkanal war sogar geplant, erinnert sich einer der Baia-Borsa-Mitarbeiter. Er wurde aber nicht gebaut. Das Geld war knapp.

2.400 Mitarbeiter sind seit dem Unglück ohne Arbeit und ohne Lohn. Mittelbar betroffen sind auch andere Minen, weil deren geförderte Erze nicht weiter verarbeitet werden können. 60 Prozent Arbeitslosigkeit herrscht in der Region, Umweltschutz wird da zur Nebensache.

Direktor Spataru fürchtet, dass der „Unfall“ nun zum Anlass genommen werden könnte, den seit Jahren ohnehin rückläufigen Bergbau insgesamt in Frage zu stellen. „Unvorstellbare soziale Auswirkungen“ sieht er für diesen Fall voraus. Die Sanierung der Anlage wird rund eineinhalb Millionen Mark kosten, schätzt der Direktor. Das Geld wird wohl das Wirtschaftsministerium aufbringen müssen, das für die Bergbauindustrie zuständig ist.

Stur beharrt Spataru darauf, dass bei dem Unglück eigentlich gar kein großer Umweltschaden entstanden sein kann. Denn anders als bei dem sechs Wochen zurückliegenden Unglück in Baia Mare werden hier in Baia Borsa nach seinen Worten zur Extraktion der Metalle keinerlei Chemikalien eingesetzt. Es handele sich um ein rein mechanisches Verfahren, bei dem an Schwermetallen nur freigesetzt werde, was ohnehin natürlich vorkomme. „Erwarten Sie eine andere Erklärung, hier im Bergwerk?“, schiebt er trotzig nach.

Könnte ihn in seinem Büro in Budapest Janos Gönczy hören, der von der ungarischen Regierung nach der ersten Umweltkatastrophe in Baia Mare eingesetzte Sonderbeauftragte, würde diesen die Wut packen. Erst schoss die Zyanidwelle durch die Theiß, vernichtete alles Leben im einzigen weitgehend naturbelassenen Fluss Ungarns. Dann kam die Verseuchung mit Schwermetallen hinzu. Zu allem Unglück trifft die zweite Giftwelle den Oberlauf der Theiß, der vom Zyanid noch verschont geblieben war. Alle Hoffnung nach dem ersten Unglück hatten darauf geruht, sagt Janos Gönczy in Budapest –einen Tag nach der Visite in Baia Borsa –,„dass der verschonte Teil das Leben im Fluss wieder produziert“.

Das Unglück, das immerwieder geschehen kann

130 Mikrogramm gelöstes Blei pro Liter haben die ungarischen Behörden in der Theiß gemessen, erklärt er der deutschen Staatssekretärin, also weit über den zulässigen Grenzwerten. Eine Konzentration, 13-mal so hoch wie der Wert, der im Rhein gemessen wird. Der Schaden lasse sich noch nicht ermessen. Ein weiteres Problem sei, dass sich die Schwermetalle in den Überschwemmungsgebieten der Theiß ablagern und so in die Nahrungskette gelangen können.

Der Staatssekretär im Budapester Umweltministerium, Sander Kavassy, beklagt das „Risikopotenzial außerhalb unserer Grenzen“, über das leider in Ungarn zu wenig bekannt sei. Und bedauerlicherweise sei die rumänische Seite in dieser Sache „nicht sehr aktiv“. In seinem Ministerium werde derzeit geprüft, welche Verantwortung die staatlichen Stellen in Rumänien tragen und ob gegebenenfalls eine „Kompensation“ eingeklagt werden kann. Anders als beim Zyanid müsse man im Fall der Schwermetalle „realistischerweise mit weiteren Verseuchungen rechnen, ohne dass es in Rumänien neue Dammbrüche geben muss“.