Aufgebahrt und balsamiert

Mumifizierte Altrituale verhinderten bei den Grünen den Aufbruch zu einer effizienten Parteistruktur.Grüne Identität ist nur mit Persönlichkeiten und einem professionellen Management möglich

von MICHA HILGERS

„Ihr habt heute die große Chance, den informellen Parteivorsitzenden zu Grabe zu tragen“, bot sich Joschka Fischer den Seinen flehentlich an, doch die hatten Mitleid, aber kein Einsehen. Eingesargt wurde stattdessen der Versuch, Schlagkraft und Management der Partei zu professionalisieren. Denn viel wesentlicher als die Zustimmung zum prolongierten Atomausstieg ist die Ablehnung der Parteireform.

Wie und mit wem es künftig an der Spitze weitergehen soll, weiß nach Karlsruhe niemand so recht. Dabei sollte auf dem Bundesparteitag der Weg für professionelles Politikmanagement frei gemacht werden, um die Wahldebakel der letzten Jahre zu beenden. Stattdessen ist Joschka Fischer als Parteimonolith von den Toten auferstanden; aufgebahrt und balsamiert harren derweil Renate Künast und Fritz Kuhn weiterer Verwendung an der Parteispitze.

Unbewusst orientiertsich die Linke ankonservativen Leitbildern

Konservativ, wie die Parteilinke nun mal ist, wird auch weiterhin an einer Organisationsstruktur festgehalten, die eine Professionalisierung von Selbstdarstellung und Politikinhalten von vornherein ausschließt. Dahinter steht die Angst, etablierten Parteien zu sehr zu ähneln. Wie sehr man sich unbewusst an konservativen Leitbildern orientiert, offenbarte Christian Ströbele unfreiwillig, aber treffend. Angesichts der CDU-Finanzaffäre und der Debatte über Machthäufung, so Ströbele, wäre die Öffnung ein falsches Signal gewesen. So war es nicht ein wirklich eigenständiger Entwurf zur Gestaltung von Partei und Politik, sondern die zwanghafte Abgrenzung vom Monokohl der Parteispendenaffäre, was die notwendige Zweidrittelmehrheit blockierte. Die ungeklärte Machtfrage innerhalb der grünen Partei verhindert jede Konturierung von Parteipersönlichkeiten, die nicht Joschka Fischer heißen. Mit grimmiger Ironie meldet sich die Wiederkehr des Verdrängten: Um Machtzentrierung zu verhindern, bleibt es bei Doppelspitzen und Ämtertrennung – und dem Überboss Fischer.

Wie sehr eine Professionalisierung der Parteiorganisation erforderlich wäre, zeigte gerade das Management dieses letzten Bundesparteitages. Mit großem Getöse war er angekündigt worden, wurde dann aber von der Parteiführung zwischendurch in Frage gestellt. Und als die Versammlung schließlich doch stattfand, wurde die Dynamik von Großgruppen völlig ignoriert. Zwar schienen die Delegierten zunächst der Parteitagsregie brav zu folgen. Bei Atomausstieg, Restlaufzeiten und Hermes-Bürgschaften votierten sie wie gewünscht. Auch Ultimaten an die Atomindustrie oder an die SPD wegen der „Leopard“-Lieferung an die Türkei wurden fallen gelassen. Klar, dass Delegierte sich hier ein ums andere Mal fragen mussten, ob sie ihrer Basis daheim mit diesen Beschlüssen noch unter die Augen treten können. Spätestens jetzt hätte klar werden müssen, dass die grüne Seele nach einem autonomen Akt verlangte. Es fehlte die Sollbruchstelle der Parteitagsregie, damit sich der Zorn der Basis Luft machen könnte. Stattdessen ein Kardinalfehler: Man begann die Abstimmungen über die Reform der Partei mit vergleichsweise nachgeordneten Finanzfragen, nicht etwa mit der Debatte über die Trennung von Partei und Amt. Nachdem auch hier den Leitanträgen gefolgt wurde, blieb der Basis nur noch der Kern der Strukturreform, um ihre Eigenständigkeit zu beweisen. Die Niederlage der Reformstrategen ist mithin das beste Beispiel für die Notwendigkeit der Parteireform und die dringend nötige Professionalisierung.

Man solle nicht jedes Vierteljahr dieselbe Sau durchs Dorf treiben, mahnte Fritz Kuhn, wobei die Sau in diesem Fall die Partei selbst ist, die es sich auch künftig leisten wird, ihre Repräsentanten öffentlich zur Sau zu machen. Womit bereits klar ist, wie es zwangsläufig weitergehen wird. Das paranoide Klima der Partei wird weiterhin jede Parteipersönlichkeit demontieren, die als Hoffnungsträger und Identifikationsfigur nach innen für ihre Mitglieder und nach außen für breitere Wählerschichten dienen könnte. Denn in der obsessiven Gleichsetzung grüner Inhalte mit der Vermeidung persönlicher Macht entledigen sich Bündnis 90/Die Grünen der politischen Macht schlechthin.

Grüne Politik ohnePersonen und Gesichterist am Ende inhuman

Wer nämlich gleichzeitig den Atomkonsens mit Restlaufzeiten von 30 Jahren absegnet, sich aber keine demokratisch legitimierte Machtzentrale leistet, wird kaum in Verhandlungen mit dem großen Koalitionspartner, mit Wirtschaftverbänden oder gesellschaftlichen Kräften genügend Überzeugungskraft und Gewicht mitbringen, ebenjene grünen Essentials zu wahren. Gemäß den griechischen Tragödien wendet sich das Schicksal, das vermieden werden soll, am Ende gegen die Protagonisten. Mit dem Argument, sich selbst treu bleiben zu wollen und grüne Identität zu wahren, wird diese gerade durch die Machtlosigkeit ihrer eigentlich nur halb existenten Repräsentanten verloren gehen. Wenn grüne Identität personen- und gesichtslos bleiben muss, um gewahrt zu bleiben, ist sie am Ende inhuman: Politik braucht Menschen, für die sie gemacht wird und die sie verkörpern. Das tiefe Misstrauen gegen ebenjene Politmenschen kreiert am Ende in abschreckender Weise menschenfeindliche Politik.

Wie sollen sich Wähler mit einer Partei und deren Inhalten identifizieren können, wenn sich im Kern ihres politischen Gebarens paranoide Befürchtungen über den jederzeit drohenden Missbrauch von Amt, Mandat und Macht finden? Wie soll menschliche Politik – eben Umweltpolitik – realisiert werden, wenn man seinen eigenen emanzipatorischen Ansätzen nicht über den Weg traut – ganz zu schweigen von den eigenen Parteifreunden? Wer überall kohlschen Machtmissbrauch und sozialdemokratischen Filz in den eigenen Reihen vermutet, taugt für einen hoffnungsgetragenen Politikentwurf nicht.

Die Grünen werden einmal mehr von ihrer unverstandenen und unverarbeiteten Vergangenheit eingeholt. Aufgebrochen sind sie als Nicht-Partei, als Sammlung vieler Anti-Bewegungen, sie werden geprägt von tiefem Argwohn gegen Rüstungs- und Atomwirtschaft, gegen die etablierte Politik und die undemokratischen Strukturen in der Bundesrepublik der Siebziger- und Achtzigerjahre. Jetzt scheitert die Partei am Rollenwechsel zur Regierungspartei mit reifer Verantwortung. Statt eigene Macht zu nutzen, um sich auch gegenüber dem Koalitionspartner zu profilieren, verausgabt man sich in der Demontage eigener Macht durch Misstrauen und Feindseligkeit im eigenen Lager.

Und weil eine Partei ohne Vertrauen nach innen keine Macht nach außen repräsentiert, ist über die gerade gefundenen Kompromisse bei Hermes-Bürgschaften, Rüstungsexporten und Restlaufzeiten noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Grünen machen sich zum Spielball ihrer politischen Gegner. Machtpositionen in Verhandlungen kann es nur geben, wenn man einen konstruktiven Umgang mit Macht auch in den eigenen Reihen realisiert. Und so gaben die Grünen in Karlsruhe mehr auf als eine notwendige Strukturreform. Am Ende werden grüne Essentials preisgegeben werden müssen – für den Götzen einer rigiden Basisdemokratur.