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: MARTIN KRAUß über Fußball ohne Verwerter

HERTHA, EIN ZERWÜRFNIS

Hertha BSC Berlin ist ja bekanntlich ein Fußballverein, und hinter dem steht ein reicher Fernsehrechteverwerter. Das ist eine Firma, die viel Geld verdient, weil sie besitzt, was andere Leute gucken wollen. Hertha zum Beispiel.

Gäbe es diese Firma nicht, hätte das Folgen, und zwar ganz viele: Zum Einen könnte die Fernsehrechteverwertungsfirma nicht so viel Geld verdienen, wenn wie am Samstag der FC Bayern München zu Besuch kommt oder wie am morgigen Dienstag sogar der FC Porto. Ja, es wäre unter Umständen sogar so schlimm, dass diese Clubs, die man zwar auch nicht unbedingt leiden können muss, die aber doch und immerhin auch ohne die Überweisungen einer solchen Fernsehrechteverwertungsfirma guten Fußball bieten, gar nicht erst zu Hertha kämen.

Zum Zweiten, sähe man nicht nur keine guten, gerne als „Gäste“ bezeichneten Fußballmannschaften, sondern auch in der Stadt keine Menschen unterschiedlichen Alters, die blau-weiße Trikots tragen, auf denen hinten „11 Preetz“ steht und vorne „Die Continentale“. Der Anblick dieser Leute ist nicht schön, hat aber immerhin die noch vor wenigen Jahren die Schulbushaltestellen gleich vieler Städte prägenden gelb-schwarzen Kleidungsstücke abgelöst, auf denen Namen wie „Sammer“ standen, was ja noch unschöner war.

Zum Dritten würden, wenn es nicht eine solche Fernsehrechteverwertungsfirma gäbe, nicht nur weniger Trikots verkauft werden, sondern auch weniger Zeitungsartikel. Ich weiß das, denn ich bin nämlich Fußballberichterstatter. Das ist an sich ein schöner Beruf, der nur, wie’s halt auch in anderen Berufen vorkommt, nicht an jedem Tag schön ist.

Samstags in Berlin zum Beispiel. Wenn man ein wenig zu früh in Richtung Olympiastadion losfährt, muss man sich U-Bahn-Abteil und Körpersäfte mit Trägern blau-weißer Trikots teilen. Dann muss man auf ein Stadion zugehen, bei dessen Anblick sich der Verdacht einschleicht, Albert Speer wäre auch von einer Fernsehrechteverwertungsfirma finanziert worden: Das Olympiastadion ist wie Hertha – ein großer Klotz, weder elegant noch zu übersehen.

Im Presseraum unter der Tribüne des Olympiastadions ist es kalt, aber es gibt ja auch kalte Platten, wo auf ein Käsebrötchen schon mal ein Erdbeerchen gelegt wird. Auf der Pressetribüne, die vom Besucherblock nicht abgetrennt ist, hat man, wenn man wie ich beinah jede Woche Glück hat, einen Hertha-Fan im Rücken, am Ohr und auf den Nerven. „Schieber“, „Scheiße“, „Scheißneger, du“, „Schmeiß ihn raus!“, „Hau ihn um!“ und „Pfeif’ endlich ab!“, schreit der ohne Unterbrechung. Auf diese Art ständig beim Arbeiten unterstützt zu werden, erleichtert die Tätigkeit eines Fußballberichterstatters nicht immer.

Wenn es nun diese Fernsehrechteverwertungsfirma nicht gäbe, hieße das, dass zwar Hertha weiter existierte, aber der Club hätte nicht so große Mannschaften wie den FC Bayern oder den FC Porto zu Gast, es gäbe also weniger Träger blau-weißer Trikots, die man ohne Probleme weiter weg von den Ohren und den Nerven der gleichfalls in geringerer Zahl anwesenden Fußballberichterstatter platzieren könnte. Diese Leute schrieben und verkauften weniger Artikel über Hertha BSC. Alles wäre kleiner, netter, sympathischer.

Aber dafür, und Marxisten wissen, dass die Ökonomie letztinstanzlich entscheidet, müsste erst mal jene Fernsehrechteverwertungsfirma weg.

spielbericht SEITE 16