Mimikry eines Lebenswerks

Stephen Prina recherchiert quer durch die Kulturfelder: Mal baut er Adornos amerikanisches Arbeitszimmer nach, mal spielt er Coverversionen von Steely Dan und Sonic Youth. Der Frankfurter Kunstverein zeigt jetzt eine Retrospektive seiner Arbeiten
von MARTIN PESCH

Stephen Prina gibt sich nicht mit unbedeutenden Leuten ab. Wer seine Aufmerksamkeit haben möchte, sollte schon vom Schlage eines Beethoven oder Manet sein. Aristoteles tut es auch, mindestens aber Steely Dan und Sonic Youth. Das ist natürlich nicht persönlich gemeint: Der 1954 geborene Künstler und Musiker ist ein umgänglicher Mann, frei von jedem Dünkel – ganz so, wie man sich jemanden vorstellt, der sein Leben in Los Angeles verbringt und sich mit den Dingen beschäftigt, für die er sich interessiert und, das ist nicht ganz unwichtig, begeistert.

Dass er sich dabei fast ausschließlich den vermeintlich großen Namen widmet, hat nichts mit der Vorliebe für den Kanon abendländischer Bildungsbürger zu tun. Die Namen ermöglichen ihm einerseits eine breite Resonanz, eben weil sie universell bekannt sind. Andererseits lässt sich anhand der betreffenden Werke analysieren, wie die Übereinkünfte entstehen und funktionieren, durch die überhaupt erst so genannte große Namen, wichtige Werke, wie Kanon und Kultur etabliert werden.

Der große Pinselschwinger ist Prina also nicht, an seinen Arbeiten ist auch wenig persönliche Handschrift zu entdecken – hier wirft sich kein Künstler-Ego auf die Leinwand. Die vornehmliche Arbeitsmethode Prinas ist die Recherche. Weil er sie aber mit Begeisterung für seinen Gegenstand, manchmal auch als Fan betreibt und auf seinen Wegen durch Bibliotheken, Archive und Depots auch die Ironie nicht vergisst, sind die Forschungergebnisse alles andere als trockenes Futter für Schlauberger.

Da sind zum Beispiel diese lieblichen Zeichnungen. Edles Hadernpapier hat Prina sanft mit stark verdünnter Sepiatusche getränkt, selbstverständlich mit einem Naturschwamm. Man muss schon recht genau hinsehen, um zu erkennen, dass die Fläche vollständig mit Farbpigmenten bedeckt ist. Das macht den Eindruck, als hätte sich hier jemand kaum getraut, überhaupt zur (malerischen) Tat zu schreiten. Die monochromen Zeichnungen mit ihrer delikaten Struktur – ein Fest für das sensible Auge – sind Zeugnisse äußerster Zurückhaltung und Scheu. So verhuscht diese Kleinodien aus Tusche auch scheinen, sie sind Bestandteil eines ausgefeilten und strengen Konzepts. Seit 1988 arbeitet Prina an der Realisierung, der Titel lautet: „Exquisite Corpse: The Complete Paintings of Manet“.

Prinas Ausgangspunkt ist das Werkverzeichnis, in dem 556 Gemälde Manets aufgelistet sind. Seine Rekonstruktion des Gesamtwerks eines der bedeutendsten Impressionisten des 19. Jahrhunderts besteht aus ebenso vielen zweiteiligen Arbeiten. Es hängen jeweils eine der obigen Zeichnungen und ein Plakat nebeneinander. Auf dem Plakat ist ein Raster zu sehen, das es in 556 Einzelflächen zerteilt. Es hat die Durchschnittsgröße aller Manet-Bilder. Die jeweilige Zeichnung repräsentiert eine von Manets Arbeiten, im Originalformat. Prina stellt also das Einzelwerk in direkte Beziehung zum gesamten Korpus. Seine Art der Zeichnung ist die für ihn größtmögliche Annäherung an Manet. Er selbst hat es so beschrieben: „Die Faktur der Zeichnungen ähnelt der eines Manet-Gemäldes: In irgendeinem Augenblick der Vergangenheit stand Manet vor einer Staffelei der gleichen Höhe und Breite und leistete schwere Arbeit, um ein Bild zu schaffen.“

Prina geht es in dieser Arbeit auch um die Gegenüberstellung des kreativen, künstlerischen Aktes mit dessen Verwaltung. Eine Form dieser Verwaltung sind jene Werkverzeichnisse, mit denen hochspezialisierte Kunsthistoriker die Arbeiten eines Künstlers systematisieren. Alles wird durchnummeriert, gemessen, in eine Chronologie gebracht und topografisch festgelegt. Prina übernimmt diese Angaben mitsamt ihren Fehlern und ergänzt sie mit dem Datum, an dem er seine Zeichnung angefertigt hat.

Mit diesem Langzeitprojekt kreiert Prina eine Art Mimikry des so genannten Lebenswerkes. Einzelne Teile zeigt er kontinuierlich bei seinen Ausstellungen; sie fungieren sozusagen als Index seines eigenen Werkes. Einiges hat er noch vor sich. In der jetzt im Frankfurter Kunstverein zu sehenden Ausstellung zeigt er die Katalognummern 191 bis 193. Wenn er also am Ende seiner Tage auf seine Rekonstruktion von Manets Gesamtwerk zurückblicken will, muss er sich sputen.

„To The People Of Frankfurt Am Main“ – der Titel von Prinas Ausstellung im Frankfurter Kunstverein klingt freundlich und einladend. Aber Prina wäre nicht Prina, wenn er in diesem harmlos klingenden Gruß an die Frankfurter Bevölkerung nicht ein Verweissystem erster Güte versteckt hätte. Der Titel ist eine Anspielung auf das letzte Werk des Düsseldorfer Künstlers Blinky Palermo, „To the people of New York“. Die Verbindung zur Stadt am Main und zu ihrem Kunstverein im Speziellen ergibt sich aus der Tatsache, dass Palermo dort 1971 eine Wandmalerei angebracht hat, die im letzten Jahr rekonstruiert wurde. Prina deutet damit auch elegant auf ein grundlegendes Interesse hin: den transatlantischen Kulturaustausch. Manchmal hat man den Eindruck, als stünde Prina in der Neuen Welt und würde mit großen Augen auf die Wunder schauen, die in den Kellern des Abendlandes lagern und anscheinend darauf warten, von ihm geborgen zu werden. Selbstverständlich führt er diese Naivität als Klischee vor.

Außer dem Titel enthält die Frankfurter Ausstellung eine weitere Arbeit, die sich diesem Thema widmet. Prina baut das Arbeitszimmer nach, das Theodor W. Adorno während seiner Emigration in Los Angeles genutzt hat. In diesen Raum, in dem weitere Exponate aus dem Adorno-Archiv in Frankfurt zu sehen sind, kann man zwar hineinschauen; Eintritt erlangt man aber nur, wenn man um den Schlüssel bittet. Dies ist als Geste des Respekts vor der dünnhäutigen Psyche des Philosophen zu werten. Und sie ist ein Beispiel für Prinas Können, in seine durchrationalisiert scheinenden Arbeiten immer wieder diese persönlichen Verbeugungen vor den von ihm „benutzten“ Personen einzustreuen.

„Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, ob er will oder nicht.“ Dieser Satz, den Adorno 1960 in seiner Studie „Kultur und Verwaltung“ formuliert hat, könnte als Motto über Prinas künstlerischem Werk stehen. Seine intensive, auch in Frankfurt fortgesetzte Beschäftigung mit dem Adler-Museum, das der belgische Künstler Marcel Broodthaers zusammengestellt hat, ist dafür genauso ein Beispiel wie die Darstellung der Geschichte der ehemals Kölner und heutigen Berliner Galerie Max Hetzler anhand der im Archiv lagernden Fotos von Vernissagen, Künstlern und Ausstellungen. In diesen Arbeiten verzichtet Prina aber auf die ebenfalls denkbare Häme gegenüber den die Kunst begleitenden, sie konstruierenden Verwaltungsakten. So wie die Löcher, durch die man in seinen Adorno-Raum schauen kann, erlauben seine Arbeiten den Blick auf die Mechanik der kulturellen Tradierung. Kataloge und Museen sind für Prina nur sichtbare Erzeugnisse eines im Dunklen laufenden Apparates.

Schallplatten gehören auch dazu. Prina hat eine klassische Kompositionsausbildung absolviert, und Musik ist seit jeher Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit. Ob er sich den Sinfonien Beethovens widmet oder seinen Lieblingsbands. Bei der Aufführung von „Sonic Dan“ spielte er am Piano je ein Stück von jedem Album der Highbrow-Popband Steely Dan und der Free-Rock-Veteranen Sonic Youth. In den Pausen allerdings spielte er vom Band Kompositionen des Schönberg-Schülers Anton Webern. Auch hier ging es um den Zweifel an der Trennung zwischen der E- und U-Musik. Der zeigte sich nicht in der platten Gegenüberstellung, sondern wurde praktiziert, indem durch den Klavierauszug der Songs deren musikalische Finesse bewusst wurde.

Im letzten Jahr veröffentlichte Prina endlich sein ersten Pop-Album „Push comes to love“, für das er mit den Chicagoer Post-Rockern David Grubbs und Jim O'Rourke zusammenarbeitete. Mit einer überraschend geübten Stimme singt er teils locker swingende Lieder und vertrackt arrangierte Balladen. Bei den Konzerten trug er einen Adidas-Trainingsanzug und Schuhe der gleichen Marke. Er bewies damit einerseits Bewusstsein für den auf den Straßen herrschenden Style; andererseits verschloss er sich aber jeder generationsübergreifenden Anbiederung, indem er die Marke nicht als distinktives Merkmal einsetzte, sondern so, als hätte er keine anderen Klamotten. Die feinen Unterschiede, Prina kennt sie und er weiß, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist.

Stephen Prina: „To The People Of Frankfurt Am Main“. Bis 30. 4., Frankfurter Kunstverein

Zitat:

„Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, ob er will oder nicht“

Dieser Satz, den Adorno 1960 in seiner Studie „Kultur und Verwaltung“ formuliert hat, könnte auch als Motto über Stephen Prinas künstlerischem Werk stehen