UMWELTKATASTROPHEN SIND IN RUMÄNIEN HALT PECH
: Aufrichtige Ignoranz

Zum Leidwesen vieler Rumänen steht ihr Land schon wieder in den Schlagzeilen. Gerade erst ist die weltweite Aufmerksamkeit nach der Zyanidkatastrophe von vor sechs Wochen in den Hintergrund gedrängt worden, da findet in Rumänien derselbe Unfall praktisch noch einmal statt. Nur dass diesmal nicht Zyanidlösung, sondern eine Schwermetallbrühe ausgeflossen ist.

 Nichts an den beiden Unfällen ist Zufall. Es gibt in Rumänien Hunderte von falsch gebauten und schlecht gesicherten Kläranlagen, in denen hochgiftige Substanzen lagern. Deshalb ist der nächste derartige Unfall vorprogrammiert. Überall in Rumänien verhindern aufrichtige Ignoranz, fröhliche Schlamperei und gewissenhaft zelebrierte Korruption, dass Betriebe die Umweltrichtlinien einhalten oder der Staat sie durchsetzt.

 Mit einer Unbekümmertheit, die an Autismus grenzt, verkünden rumänische Politiker, Staatsbeamte und Betriebsdirektoren nun, dass der jetzige Schwermetallunfall bei weitem nicht so schlimm sei wie die Zyanidkatastrophe, von der sie zuvor behauptet haben, dass erst Ungarn sie überhaupt zur schlimmen Katastrophe aufgeblasen habe. Pech gehabt zu haben ist ihr erster Reflex nach einem solchen Unglück. Pech mit den Unwettern, die Rumänien heimsuchen und Klärdämme zum Brechen bringen. Pech mit der Weltpresse, in deren Schlagzeilen ihr Land schon wieder steht. Pech damit, in Ungarn, wohin unglücklicherweise die rumänischen Flüsse fließen, ausgerechnet einen historischen Erzfeind zum Nachbarn zu haben. Pech mit den Terminlichkeiten, denn schließlich sind die Unfälle just in einer Zeit passiert, in der Rumänien gerade Aufnahmeverhandlungen mit der EU begonnen hat.

 Gerade Letzteres ist für Rumänien nicht nur eine Frage des Ansehens. Jetzt, nach dem zweiten Giftunfall, hat Ungarn deutlich schärfer reagiert als noch beim ersten Mal. Ungarn stellt ernsthafte diplomatische Verstimmungen in Aussicht und verlangt ganz offiziell, Rumänien von außen zur Einhaltung von Umweltstandards zu zwingen, andernfalls müsse es von EU-Verhandlungen ausgeschlossen werden. Vielleicht die einzige Lösung – ist Rumänien doch vor sechs Wochen auf die selbst verschuldete Zyanidkatastrophe erst aufmerksam geworden, als der Rest der Welt es längst war.

 Freilich wird der Pech-Reflex wegen der Kritiken nun erst einmal in Verfolgungswahn umschlagen. Oder, wie der Dichter Mircea Dinescu vor einigen Wochen angesichts der Zyanidkatastrophe gesagt hat: Der Schmerz der anderen wandelt sich jedesmal in die eigene Beleidigung um. KENO VERSECK