Die Abenteuerlust des Percussionisten

■ Der Pianist Anthony Coleman gastierte mit seinem Trio Sephardic Tinge im Kito

Das Trio Sephardic Tinge des Pianisten Anthony Coleman kommt zunächst daher wie ein klassisch besetztes Pianotrio. Aber sowohl Stilistik wie Spielweise entpuppen sich als alles andere denn klassisch. Der Bandname spielt übrigens auf eine Äußerung des Ragtime-Begründers Jelly Roll Morton an zu dem gewissen Etwas, das seine Musik auszeichne, nämlich das „Spanish Tinge“, der Latin-Touch. Demgegenüberbesteht das gewisse Etwas in der Musik Colemans in weitaus mehr als dem Einfluss sephardischer Melodien oder Rhythmen. Der Mann aus dem Umkreis der New Yorker Knitting Factory lässt ständig Zitate und Anspielungen aufblitzen, von Mortons rollenden Ragtimelinien über Monks verzögerte Anschläge bis zu Freejazz-Clustern, auch Herbie Nichols' und Ellingtons Einflüsse sind in Colemans Spiel präsent.

Verschmitzt spielt er mit überraschenden Wendungen und Rhythmuswechseln, verquickt melodisches Material unterschiedlichster Herkunft. Neben den tradierten Melodien sephardischen Ursprungs, und das heißt bei Coleman vor allem judäo-spanischer Tradition, tauchen Elemente von Cha-Cha-Cha, Boogie und Blues, Bepop, Freejazz, Latin und osteuropäischer Weisen auf. Insbesondere in seinen Adaptionen sephardischer Lieder spiegelt sich der Exodus der spanischen Juden nach der Reconqista ins osmanische Reich wider, manche seiner Läufe erinnerten an klassische osmanische Musik.

So zauberten die drei Musiker, neben Coleman waren das Ben Street am Bass und Michael Sarin am Schlagzeug, am Freitagabend im Kito eine ganz eigene Definition von Weltmusik in die Gehörgänge des (leider nur recht spärlich erschienenen) Publikums. Das reagierte schwer angetan von diesen vielschichtigen, komplex strukturierten und kontrastreichen Klanggemälden, deren Ausgangspunkt häufig ganz einfache Harmonien waren.

Aber das Trio spielte nicht nur mit den diversen Stilistiken und musikalischen Subkulturen, sondern auch mit dem Trio-Format selbst. Denn die klassische Rollenzuweisung ist bei Sephardic Tinge aufgehoben. Die drei Musiker agieren weitgehend gleichberechtigt, wenn auch Bassist Ben Street hauptsächlich für die rhythmische Grundierung zuständig war und zumindest am Freitagabend recht zurückhaltend wirkte.

Dafür trommelte Michael Sarin begnadet ideensprühend und immer wieder erfreulich wild. Mal ließ er seine Sticks mächtig rockend auf die Felle knallen, mal zischelte er mit den Besen über Snare, Becken und Hi-Hat. In fliegendem Wechsel kamen Besen, Sticks und Schlegel zum Einsatz. Er klöterte, rasselte und schepperte, setzte überraschende Akzente und Pausen, wob feine polyrhythmische Strukturen und interagierte kongenial mit Colemans Pianospiel. So offenbarte sich Sephardic Tinge als großartiges Trio, dessen Musik Definitionsgrenzen sprengt und einen ebenso abenteuerlustigen wie zeitlosen Zauber entfaltet. Arnaud