Der Nato-Verräter ist Amerikaner

Serbien kannte geheime Einsatzpläne der alliierten Luftwaffe während des Kosovokrieges. Nun stellt sich heraus: Bei der Nato gibt es einen Maulwurf

von ANDREAS ZUMACH

Der Spion, der während der ersten zwei Wochen des Nato-Luftkrieges gegen Jugoslawien Bodenziele und Aufklärungsoperationen vorab an Belgrad verraten hat, ist US-amerikanischer Luftwaffenoffizier. Sein Motiv für die Spionage waren nach eigenen Angaben die „Völkerrechtswidrigkeit“ der Nato-Luftangriffe und das „erpresserische Ultimatum“ der USA und ihrer westlichen Verbündeten bei den Verhandlungen mit dem Milošević-Regime im Februar/März letzten Jahres in Frankreich. Der US-Offizier offenbarte sich der taz bereits kurz nach Kriegsende im Juni letzten Jahres. Unter der Bedingung strikter Geheimhaltung nannte er seinen Namen und Dienstrang sowie seine Funktion und seinen Einsatzort während der 78-tägigen Luftangriffe. Er legte dabei Unterlagen über diverse Angriffsziele und Aufklärungsoperationen der Nato-Luftstreitkräfte vor. Über deren Verrat wurde bereits während des Krieges spekuliert.

Die verratenen Einsatzpläne werden in einem geheimen Untersuchungsbericht des Pentagon aufgeführt. Dies geht aus einem gestern vorab in der britischen Zeitung The Guardian veröffentlichten BBC-Report hervor. Einer der verratenen Nato-Pläne ist der Flug des – für gegnerisches Radar angeblich unsichtbaren – F-117 A-Stealth-Kampfflugzeuges der US-Luftwaffe, welches in der ersten Kriegswoche von der jugoslawischen Luftabwehr abgeschossen wurde. Bereits im August letzten Jahres hatte ein hoher Nato-Vertreter geäußert, ein Offizier der Allianz habe Einzelheiten des geplanten Stealth-Fluges an einen russischen Geheimdienstmitarbeiter gegeben und dieser habe Belgrad informiert.

600 Personen kannten das Passwort

Laut der Pentagon-Untersuchung erhielt Belgrad in den ersten beiden Kriegswochen die hochgeheimen Tagesbefehle (Air tasking orders, ATO) der Nato über Angriffsziele ihrer Luftstreitkräfte sowie über Routen und Einsatzzeiten bemannter und unbemannter Aufklärungsflüge der Allianz. Diese Information erlaubte es der jugoslawischen Armee- und Sonderpolizei, Waffen, Material und Einheiten rechtzeitig vor den Aufklärungsflügen und den Luftangriffen zu verstecken oder zu verlegen. Auch zivile Ziele der Nato – darunter zwei Ministerien in Belgrad – wurden damals rechtzeitig vor den Luftangriffen evakuiert.

Gespeichert wurden die Tagesbefehle unter einem geheimen Zugangscode im Nato-internen Computersystem Chronos. Laut Pentagon-Untersuchungsbericht gelangte Belgrad nicht durch Computerhacker von außen an die Informationen, sondern durch eine menschliche Quelle innerhalb der Nato. Der Bericht enthält keine Information oder auch nur Spekulationen über die Identität des Spions. In der Allianz hatten in den ersten beiden Kriegswochen noch 600 Personen Zugangsberechtigung zu den geheimen Tagesbefehlen – vornehmlich militärisches Personal im Nato-Hauptquartier und in den Hauptstädten der 19 Mitglieder der Allianz. Zu diesen 600 Personen gehörte auch der US-Luftwaffenoffizier. Als sich der Verdacht auf einen Maulwurf in der Nato verstärkte, wurde die Liste der zugangsberechtigten Personen nach der zweiten Kriegswoche auf Drängen des US-Oberkommandos der Allianz von 600 auf 100 gekürzt. Danach gab es keine Fälle von Geheimnisverrat mehr. Der US-Offizier gehörte nach eigenen Angaben nicht mehr zu den 100 Zugangsberechtigten. Während hohe Pentagon-Vertreter den geheimen Untersuchungsreport bestätigten, dementierte Nato-Sprecher Jamie Shea gestern die Berichte des Guardian und der BBC energisch. Ihm sei nichts über eine US-Untersuchung bekannt. Nach „allgemeinem Menschenverstand“, könne es „in den Reihen der Allianz kein Leck geben“, betonte der Nato-Sprecher. „Shea ist entweder selber nicht informiert, oder er lügt genauso wie schon während des Nato-Luftkrieges“, kommentierte der Spion gegenüber der taz das Dementi des Sprechers der Allianz.

„Ich weiß, wir haben einen Spion“

Für diese Version sprechen auch diverse Äußerungen von Sheas höchstem Vorgesetzten, Nato-Oberbefehlshaber General Wesley Clark. „Ich weiß, dass wir hier einen Spion haben. Ich will ihn finden“, hatte Clark nach Aussage eine hohen Nato-Vertreters in den ersten Kriegswochen in interner Runde im Brüsseler Hauptquartier erklärt. Gegenüber der BBC reagierte Clark jetzt zwar auf die Frage, ob er damals geglaubt habe, es gebe einen Spion „im Nato-Hauptquartier“, mit der Feststellung „Absolut nicht.“ Doch auf die Nachfrage nach einem Spion „in der Nato“ (ein Begriff, der zumindest die Verteidigungsministerien und Militärs der 19 Mitgliedsstaaten einschließt) anwortete Clark lediglich: „Ich denke, nicht.“ Zugleich bestätigte er aber die Beschränkung der Zugangsberechtigung zu den Nato-Tagesbefehlen nach den ersten beiden Kriegswochen.

Die britischen Medien legten in ihren gestrigen Berichten die Vermutung nahe, bei dem Spion habe es sich um einen westeuropäischen Nato-Offizier gehandelt. Der Guardian erinnert an den französischen Offizier Pierre-Henri Bunel, der nach eigenem Eingeständnis im Oktober 1998 Details der damaligen Nato-Zielplanungen für einen Luftkrieg gegen Jugoslawien an Belgrads Diplomaten in Brüssel weitergeben hatte. Weiterhin verweist die Zeitung darauf, dass während des Krieges nur die zwei Nato-Staaten Griechenland und Italien diplomatische Vertreter in Belgrad belassen hatten. BBC-Korrespondenten glauben, der Pentagon-Bericht über den Spion in der Nato werde zu neuen Vorwürfen Washingtons führen, die europäischen Nato-Partner unternähmen nicht nur zu wenig militärische Anstrengungen, sondern seien darüber hinaus auch noch unzuverlässig und ein Sicherheitsrisiko. Mit diesen „irreführenden Spekulationen und Schlussfolgerungen“ begründete der US-Luftwaffenoffizier gegenüber der taz sein Einverständnis, jetzt seine Nationalität und die Motive für den Verrat öffentlich zu machen.