zahl der woche
: Die Wandlung vom Verkehrsopfer zum Attentäter

Spielplatz Autobahn

von MATTHIAS URBACH

Die Verkehrsnachrichten der Woche standen im Zeichen der „Killer-Kids“ und ihrer Opfer. Am Sonntag hatten die drei Jugendlichen bei Darmstadt Steinbrocken von einer Brücke auf die Bundesstraße 3 geschleudert. Eine Studentin und eine 41-jährige Frau starben in ihren Autos, weil die kiloschweren Steine ihnen den Kopf zertrümmerten. Nach 19 Minuten flüchten die Jugendlichen, der Jüngste mit 14 Jahren noch ein Kind, vor der nahenden Polizei.

Die drei hatten ein seltsames Gefühl für Timing. Denn alle 19 Minuten verglückt statistisch gesehen ein Kind zu Fuß oder per Rad auf der Straße. Das war den Werfern nicht bewusst. Sie handelten aus einer Mischung von Geltungssucht und Gedankenlosigkeit.

Die getöteten Fahrerinnen aber sind Verkehrsopfer der besonderen Art. Natürlich füllt ihr Schicksal die Schlagzeilen. Unbekannt bleiben drei Kinder, die der Statistik folgend auch diese Woche zu Fuß oder per Rad tödlich verunglückt sind.

Das ist die Ironie dieser Tat: Die drei Jugendlichen haben den Spieß umgedreht. Nicht sie werden getötet, sondern sie töten.

Während sich normalerweise Autofahrer nicht vor Kindern fürchten, ist den Kindern die Gefahr sehr bewusst. Wenn sechs- bis vierzehnjährige Kinder gefragt werden, wie sie sich die Straße erträumen, wünschen sie sich keine Kletterbäume und Bolzplätze, sondern Ampeln und Tempolimits. Von 191 Nennungen bezogen sich 166 auf Sicherheit, das mussten Psychologen der Uni Bochum jüngst verdutzt feststellen.

Autos beherrschen das Straßenbild, selbst in den Innenhöfen sprießen Car-Ports. In den Städten lassen viele Eltern ihre Kleinen aus Angst kaum draußen spielen – zur Schule oder zum Eiscafé kutschieren sie die Kinder lieber im Auto.

Im Auto fühlt man sich sicher, zu Fuß ist jeder schutzlos. Zwar gibt es längst Versuche mit Fußgängerairbags an der Autofront oder mit Motorhauben, die den Fußgänger bei Kollisionen abfedern – doch der Autoindustrie ist das zu teuer. Der Käufer sitzt ja auch im Auto.

Am Montag wurden die drei Steinewerfer gefasst. Doch schon am Tag drauf fanden sich Nachahmer, nun auf der A 3. Spielplatz Autobahn.