Das Moskitonetz als einziger Luxus

In Thailand wird der sozial- und umweltverträgliche Tourismus erprobt. In den abgelegensten Dörfern soll er als Entwicklungshelfer und Broterwerb dienen. Wenig Nachfrage im eigenen Land, dafür kommen Europäer

Bier ist den Männern von Mae Lana lieber als Whiskey, es ist hier teurer im Vergleich. Also kreist die Bierflasche noch einmal um das Feuer, das im Zentrum der Hütte brennt und in einem schweren Kessel das Teewasser am Köcheln hält. Ihre deutschen Gäste halten sich umgekehrt an den „Mekong“, den Whiskey, der eigentlich als Mitbringsel gedacht war. So geölt fließt die Unterhaltung schwer und gleichmäßig dahin wie der Strom, der dem hochprozentigen Stoff seinen Namen gab. Die Alten erzählen von den Verwandten, die wenige Kilometer weiter jenseits der birmanisch-thailändischen Grenze leben, die eigentlich gar keine Grenze war, bis das birmanische Militär anfing, Minen zu verlegen. Sie erzählen von den Tätowierungen, die, in Tigerstreifen angebracht, der Stolz eines traditionellen Shan-Mannes sind. Und sie erzählen vom Stromanschluss, der vor einigen Jahren bis hierher gelegt wurde und nun der Stolz des Dorfes ist.

„Wir können keinen Zaun um diese Leute ziehen“, sagt Tawatchai Rattanasorn, der Leiter des Project for Recovery of Life and Culture in Mae Hong Son, der Hauptstadt des nordwestlichsten Distrikts Thailands. Anders ausgedrückt: Ein Idealismus, der die abgelegenen Hill Tribes in den Bergen ringsum in einem vortechnischen Naturzustand konservieren wollte, sei nicht nur zum Scheitern verurteilt – er gehe auch am Willen der Betroffenen vorbei.

Wenn schon Fortschritt, dann auf eine Weise, die alle Beteiligten davon profitieren lässt, lautet die Devise. Damit war die Voraussetzung für die Erprobung eines „sozial- und umweltverträglichen Tourismus“ gegeben, der Bergbewohner und Besucher beispielsweise im abgelegenen Mae Lana am Feuer zusammenbringt. Die Organisation, die diese Idee als erste formulierte, war der Thai Volunteer Service (TVS), eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Bangkok. Von hier aus schickt TVS jährlich junge Thais nach der Schule oder dem Studium für Hilfsprojekte aufs Land. Dafür erhielt TVS lange Jahre Unterstützung von westlichen Institutionen, unter anderem von Misereor, Brot für die Welt und der Heinrich-Böll-Stiftung. Thailand aber hat sich entwickelt und ist heute kein klassisches Entwicklungsland mehr. Also wurde vor einiger Zeit signalisiert, TVS solle künftig auf eigenen Füßen stehen. Die Arbeit blieb, denn Dörfer wie Mae Lana gibt es noch viele im Land.

Mit Hilfe der Projektpartner vor Ort wurden Dörfer gefragt, ob Interesse bestehe, den sanften Tourismus zu erproben. Das Interesse bestand, so dass TVS einen ansehnlichen Katalog zusammenbrachte: Bergwandern mit Angehörigen der ethnischen Minderheiten der Shan oder Karen; auf Fangzug mit muslimischen Fischern auf der Andamanen See; Einblicke in die klassischen thailändischen Lebenweisen in einem Dorf nur zwei Autostunden von Bangkok entfernt. Schon die Vorbereitung auf die ersten Touristen sei für die Dörfer ein Gewinn gewesen, sagt Tawatchai Rattanasorn, in dessen Projektbereich Mae Lana fällt. Nach einem mehrtägigen Training, in dem über Ziele und auch die möglichen Folgen für den Dorfalltag geredet wurde, ging es auch um die heimische Küche. „Die Leute haben hier viel Gemüse. Wir haben ihnen gezeigt, wie sie für die Touristen mehr daraus machen können – was nun wiederum den Kindern zugute kommt.“ Gelernt sein will auch der Umgang mit einem hier kaum verbreiteten Medium: Geld. Die Einkünfte aus Bewirtung und Unterbringung werden nämlich zwischen Gastfamilie, Dorfgemeinschaft und TVS geteilt. „Wenn das mit dem Tourismus klappt, kann man später auch größere Unternehmungen starten, zum Beispiel Kräuter- oder Rattananbau im Wald“, erläutert Rattanasorn.

„Vor allem aber entwickeln die Menschen dabei ihr Selbstbewusstsein, um ihre Interessen nach außen zu vertreten.“ Es sei noch nicht lange her, dass die thailändische Regierung die Lebensweise der ethnischen Minderheiten in den Bergen und Wäldern als ökologisches Problem ansah. Noch immer stehen sie daher unter dem Druck, beweisen zu müssen, dass gerade sie Garanten für eine verträgliche Nutzung des Waldes sein können. Wichtig sei aber, so Nicole Häusler, die bei TVS das Marketing betreut: „Die Dörfer sollen nicht finanziell abhängig werden vom Tourismus.“ Nicht mehr als zehn Gruppen mit jeweils höchstens zehn Leuten sollen daher pro Jahr die Dörfer besuchen.

Auf dem Weg nach Hua Hee, dem zweiten TVS-Dorf in der Nähe von Mae Hong Son, holpern die Jeeps über eine Bergpiste, deren tiefe Rinnen die Wassermasse ahnen lässt, die hier während der Regenzeit aus den Bergen strömt. Für Fahrzeuge sind die Siedlungen dann nicht erreichbar. Auch jetzt ist die Straße ein Wagnis. Vor Ort wird so mancher Besucher vom Kulturschock erfasst: Geschlafen wird auf Matratzen in Räumen, deren einziges weiteres Möbel ein Moskitonetz ist – auch das ein Zugeständnis an die Besucher. Die Duschen bestehen aus einem mit Wasser gefüllten Fass mit Schöpfkelle, gegessen wird traditionell von Bananenblättern. Damit Besucher und Gastgeber nicht überfordert werden, stehen ein oder zwei Nächte vor Ort auf dem Programm. Zudem werden Tagesausflüge angeboten: morgens los, nach Abendessen wieder zurück im Guest House oder im Vier-Sterne-Hotel.

Ursprünglich war an die neue thailändische Mittelschicht als Zielgruppe gedacht. Für die Bewohner des 10-Millionen-Einwohner-Molochs Bangkok sollte ein Ausflug in die noch nicht entwickelten Zonen des Landes so etwas wie Ferien auf dem Bauernhof sein. Doch das eigene Land steht bei den Thailändern nicht hoch im Kurs. „Wer hier Geld hat, der fährt nach Europa“, sagt Häusler.Billig ist das sozial- und umweltverträgliche Reisen nicht. Drei Tage Karen- oder Shan-Dorf kosten vier- bis fünfhundert Mark. Neue Zielgruppe ist nun die Schicht der in die Jahre kommenden, alternativ denkenden Europäer.

„Unsere Lebensweise ist so alt und so tief verwurzelt“, sagen die Karen-Schwestern Chidi und Thana aus Hua Hee, da machten die paar Besucher nichts aus. Im Gegenteil, das Geld helfe ihnen ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Sollten sie dennoch manchmal schüchtern auf ihre Gäste wirken, so habe das einen anderen Grund: Die weißen Frauen seien doch so viel hübscher.

THOMAS MACHOCZEK

Kontakt: TVS-REST, 409 Soi Rohitsook, Pracharajbampen Rd., Huay Kwang, Bangkok 10320, Telefon und Fax: +66-2-690-2769, www.ecotour.in.th