Rückkehrer haben weniger Angst vor dem Geschäft mit dem Tod

In Vietnam haben Rückkehrer aus Deutschland schlechte Karten, wenn sie ohne Ausbildung zurückkommen und in Europa nicht intergriert waren

Lao Cai (taz) – „Ich habe es doch gut. In meinem Garten wachsen viele Bananen. In der DDR musste ich nach Bananen anstehen“, erzählt Ngoc, während er seinen Leichenwagen durch die nordvietnamesische Grenzstadt Lao Cai steuert. Plötzlich hält ihn ein Polizist an. „Scheiß Bullen!“, schimpft Ngoc auf Deutsch. Auf Vietnamesisch würden ihm Flüche nicht über die Lippen kommen. Der Polizist kassiert ein Strafgeld, weil Ngoc eine rote Ampel überfahren hat. Normalerweise genießen in Vietnam Fahrer von Leichenwagen Narrenfreiheit, weil der Tod mit abergläubischen Vorstellungen verbunden ist. Die verbieten es selbst Polizisten, sich mit Mitarbeitern von Bestattungsfirmen anzulegen.

Ngoc war 1986 als Lehrling für Forstwirtschaft nach Wernigerode gekommen, anschließend arbeitete er in einem Forstbetrieb. Nach der Wende wurde er arbeitslos und kehrte 1992 nach der Trennung von seiner deutschen Freundin, mit der er ein Kind hat, nach Vietnam zurück. Mit der Trennung hatte er sein Aufenthaltsrecht verloren. In Vietnam heiratete er erneut und wurde wieder Vater. Mit Eltern und Geschwistern teilte sich seine Familie die elterliche Bambushütte. Als Arbeitsloser lebte Ngoc vom Einkommen seiner Angehörigen und dem, was er im Garten anbaute.

Von den 60.000 vietnamesischen Vertragsarbeitern, die 1989 in der DDR lebten, kehrten 50.000 mehr oder weniger freiwillig zurück. Die meisten Vertragsarbeiter hatten in der DDR keine Ausbildung erworben, mit der sie in Vietnam etwas anfangen können. Am besten traf es noch diejenigen, die während der Wende zurückkehrten: Von ihren Ersparnissen und den 3.000 Mark Abfindung, die sie bei der Rückreise erhielten, konnten viele ein Grundstück erwerben und ein bescheidenes Haus bauen.

Extrem schwierig war für viele Rückkehrer der Aufbau einer Existenz. Unter dem Auslandsaufenthalt hatten die sozialen Kontakte gelitten, die man in Vietnam zur Arbeitssuche braucht. Die Auslandsvietnamesen hatten auch keinen Anteil an den rasanten Entwicklungen, die ihr Heimatland in der ersten Häfte der 90er-Jahre mitmachte. Wer schon in Deutschland an den sozialen Rand gedrängt war, brachte wenig Nützliches nach Vietnam zurück. Anders diejenigen, die in der DDR studiert hatten und im Nachwendedeutschland qualifizierte Tätigkeiten ausübten: Sie haben Erfahrungen, die in Vietnam gefragt sind.

Ngoc kam 1995 dennoch eine in der DDR gelernte Fähigkeit zugute. Nicht der Forstfacharbeiter, denn in Lao Cai gibt es keinen Wald. Aber eine Bestattungsfirma suchte einen Fahrer für einen Lkw vom Fabrikat IFA W 50, den Ngoc schon im Forstbetrieb in der DDR gefahren hatte.

„Wer hat schon in Lao Cai eine Fahrerlaubnis für einen LKW?“, sagt Ngoc. „Wir sind doch hier nicht in Hanoi, wo jeder Motorrad oder Auto fahren kann. Ist doch klar, ich hatte den Job.“ Ngoc sagt nicht Führerschein, sondern Fahrerlaubnis. Seit 1992 war er nicht wieder in Deutschland. Noch eine Erfahrung aus Deutschland kam Ngoc zugute: In Europa geht man pragmatischer, gefasster mit dem Tod um als im konfuzianisch geprägten Vietnam, in dem die toten Ahnen das Schicksal der Lebenden zu bestimmen scheinen. „Ich habe in Deutschland gelernt, mit den Angehörigen der Toten nicht ständig über ihren verstorbenen Verwandten zu reden“, sagt er. „Da würde ich doch verrückt werden.“

Die Bestattungsfirma in Lao Cai stellt gern Rückkehrer aus Europa ein, weil die weniger Angst vor dem täglichen Geschäft mit dem Tod haben. Denn in Europa sind die Menschen nicht so abergläubisch, dass sie dem Umgang mit Toten ein schlechtes Omen zuschreiben. Doch auf Ngocs jungen Kollegen, der vor einem Jahr aus Deutschland abgeschoben wurde und jetzt als Leichenträger arbeitet, scheint das nicht zuzutreffen. Im Asylbewerberheim hatte er keinen Kontakt zu Deutschen und machte keine sozialen Erfahrungen, die ihm das Geschäft mit dem Tod erleichtern würden. Ngoc schimpft: „Der hing jahrelang im Wohnheim rum, ohne was zu tun.“ Der Junge durfte als Asylbewerber in Deutschland nicht arbeiten. „Wenn du ein paar Jahre nichts zu tun hattest, dann wirst du eben faul und ziellos“, sagt Ngoc. Er versteht nicht, warum die Deutschen den Asylsuchenden das Arbeiten verbieten. Marina Mai