Steintod auf der Bundesstraße

■ Immer wieder werden Pkws von Brücken aus beworfen. Diesmal gab es Tote

Steine, Gullydeckel und andere Gegenstände wurden schon mehrfach von Brücken ausauf Straßen geworfen

Darmstadt (taz) – Zwei Frauen im Alter von 20 und 41 Jahren wurden in der Nacht zum Montag auf einer Bundesstraße in Darmstadt in ihren Pkws getötet. Eine 75 Jahre alte Frau wurde schwer, vier weitere Personen leicht verletzt. Von einer Fußgängerbrücke über die vierspurig ausgebaute B 3 waren Steine „so groß wie Handbälle“, so die Polizei, auf ihre Autos geworfen worden – von noch unbekannten Tätern. Zwei der Steine durchschlugen die Windschutzscheiben und trafen die beiden Fahrerinnen am Kopf.

Die Fußgängerbrücke, von der aus die Steine geworfen wurden, verbindet eine U.S. Housing Area mit einer Siedlung der Wohnungsbaugesellschaft „Heimstätten“. Noch in der Nacht suchten deutsche und US-Polizisten (MP) den Tatort nach Spuren ab. Eine Sonderkommission, an der auch das BKA beteiligt ist, fahndet seit gestern nach den Tätern. Mit Lautsprecherdurchsagen wurden die Anwohner zur Mithilfe aufgefordert. Zeugen werden „dringend gesucht“, hieß es am Nachmittag auf einer Pressekonferenz von Staatsanwaltschaft und Polizei im Polizeipräsidium Darmstadt. Die Staatsanwaltschaft am Landgericht hat eine Belohnung von 10.000 Mark ausgesetzt.

Wie Staatsanwalt Klaus Reinhard berichtete, ist es in den letzten drei Jahren schon mehrfach zu Steinewürfen von dieser Brücke gekommen. Die Steine seien aber kleiner gewesen und hätten keine größeren Schäden an Fahrzeugen angerichtet. Fahndungen nach den Tätern waren erfolglos geblieben. Zum Schutz der Autofahrer sei danach dort allerdings eine Plexiglaswand errichtet worden. Die aktuellen Täter hätten deshalb überhaupt nicht sehen können, ob sie treffen würden – oder nicht. Wahrscheinlich mit einer Schneeschaufel, die auch auf der Straße lag, wurden die Quader über die Schutzwand geschleudert. Ein makabres „Schiffeversenken“ also? Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass die Täter – wegen der Ortskenntnisse – aus einer der beiden Siedlungen kommen könnten; entweder aus der deutschen oder der US-Siedlung Lincoln. MP, CID und der Standortkommandant dort seien deshalb „voll eingebunden“ in die Arbeit der neuen SoKo „Brücke“, sagte der Darmstädter Polizeipräsident Rudolf Kilb. Er wies auch darauf hin, dass zwei Stunden vor der Tat im MDR die Serie „Kripo-live“ ausgestrahlt worden sei. Thema: Steinewürfe von Brücken. Eine Nachahmungstat also? Dazu könne beim derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts gesagt werden, so SoKo-Chef Gottfried Strömer. Bereits am Freitagabend waren in Heide, Kreis Dithmarschen, vorbeifahrende Fahrzeuge von einem Parkhaus mit einem Gullydeckel beworfen worden. Verletzt wurde niemand.

Steine, Gullydeckel und andere Gegenstände bis hin zum Kühlschrank wurden schon mehrfach von Brücken aus auf Straßen geworfen. Und immer wieder wurden dabei auch Autofahrer getötet. Spektakulär war die Jagd nach dem Gullydeckel-Attentäter in Schleswig-Holstein 1995. Der schlug neunmal zu, ehe er geschnappt wurde (siehe Interview). Zwei Jahre zuvor hatte ein 15-Jähriger im Ruhrgebiet einen Bremsklotz auf ein Auto geschleudert. Der Fahrer wurde getötet. In Brandenburg schleudert 1995 ein 20-Jähriger von einer Brücke bei Eberswalde einen 20 Kilo schweren Stein auf einen polnischen Lastwagen; der Beifahrer wird getötet – der Täter gefasst und zu acht Jahren Jugendstrafe verurteilt. Und auf der Autobahn Köln-Olpe kippen junge Männer Kühlschränke und Sperrmüll auf die Fahrbahn. Wie durch ein Wunder gibt es keine Toten. Die Täter werden geschnappt: drei Jahre Haft.

In Italien sind die so genannten Steinekiller zu einer echten Landplage geworden. Zeitweise wurde erwogen, die Brücken über die privaten Autobahnen dort permanent von Soldaten bewachen zu lassen.

Klaus-Peter Klingelschmitt