EU-Beauftragter darf in Tschetschenien nicht alles sehen
: Propaganda als Waffe

Die russische Staats- und Armeeführung führt Krieg an zwei Fronten: gegen die tschetschenischen „Kämpfer“ auf der einen, gegen die wahrhaftige Information auf der anderen Seite. Kommt diese zweite Front ins Rutschen, ist auch die erste gefährdet. Denn würde in die russische Öffentlichkeit gelangen, was tatsächlich los ist, würde die bislang fast einhellige Unterstützung der russischen Bevölkerung bröckeln. Der militärische Ruhm eines schließlichen Sieges über die tschetschenischen Banditen wäre dann noch fadenscheiniger und die Wahl Putins zum Präsidenten Ende März noch weniger glänzend.

Die Leine, an der sich der Menschenrechtsbeauftragte der EU, Gil Robles, bewegen darf, wird sehr kurz gehalten. Dies zeigt, für wie gefährdet die russische Führung ihre Informationspolitik hält. Dabei sind von der EU höchstens zahnlose Proteste zu erwarten. Aber wenn schon das bisschen, was ein offiziell herumgeführter Ausländer in einem Lager sehen könnte, so gefährlich ist, dann müssen die Zustände fürchterlich sein.

Dass die russische Kriegsführung menschenverachtend ist, war bei der restriktiven Informationslenkung des russischen Militärs von Anbeginn an zu erwarten. Deshalb wurde das Land ja abgeschottet. Die offizielle und bekannte Vorgehensweise war brutal genug: Erst mit Artillerie und aus der Luft zerstören, um dann die Ruinen mit Bodentruppen zu „säubern“.

Hinzu kommt jedoch die wütende Brutalität der Truppen, die durch rassistische Einstellungen, aber auch durch die Hilflosigkeit gegenüber einem ungreifbaren Gegner angestachelt wird. In solchen Konstellationen kommt es immer zu erbarmungsloser Quälerei der Zivilbevölkerung und der gefangenen mutmaßlichen Gegner.

Wird diese Brutalität aber zu Hause bekannt, zerstört sie die Kriegsbegeisterung. Spätestens mit den Bildern von Massengräbern ist eine Bresche in die russische Informationspolitik der Abschottung geschlagen worden. Die Affäre Babizki, die auch die Hilflosigkeit der russischen Militärführung vorführt, hat diese Bresche erweitert. Mit EU-Sanktionen wird allerdings wenig zu erreichen sein. Viel wichtiger ist es, glaubwürdige Informationen über das gepeinigte Tschetschenien zu sichern. Denn dies würde erfolgreich die Informationslenkung durch die russische Militärführung konterkarieren, die mit allen propagandistischen Mitteln versucht, die Unterstützung für den Krieg zu stabilisieren. Erhard Stölting

Der Autor ist Professor für Politik an der Universität Potsdam