„Ihr seid keine Österreicher, ihr wollt uns verleumden“

Wiener Polizei verprügelt vier junge Tübinger, die zur großen Anti-Haider-Demo wollten

Berlin (taz) – „Wir mussten uns nebeneinander an die Wand stellen und unsere Schuhe ausziehen. Daraufhin erklärte einer der Polizisten, jeder Polizist könne uns daran erkennen, dass wir keine Schuhe tragen, wir sollten nicht wagen, auf die Demo zu gehen. Außerdem hätten wir in Zukunft in Österreich nichts mehr zu suchen.“ Diese Sätze stehen in einem Gedächtnisprotokoll des Zivildienstleistenden Titus Stahl. „Wir sind auf dem Weg zur Anti-Haider-Demo von der österreichischen Polizei misshandelt worden“, erklärt der 20-Jährige, der heute noch das, was er und seine drei Freunde vergangenen Samstag erlebt haben, „völlig unglaublich“ findet.

Stahl erzählt die Geschichte, die den vier, die sich in der PDS-Hochschulgruppe in Tübingen engagieren, widerfahren ist: Beim Fußmarsch zum Demoauftakt am Wiener Westbahnhof hielt ein Mannschaftswagen der Polizei neben ihnen. Die Männer in Hartschalenpanzern durchsuchten sie. „Dabei haben sie meine Hosentaschen zerrissen und mich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen“, beschreibt Stahl das rabiate Vorgehen der sechs bis sieben Polizisten.

Dann wurden die zwei Zivis und zwei Studenten in einen Hausdurchgang gedrängt. Die Tür wurde von innen verschlossen, unter Schlägen und Tritten in den Genitalbereich wurden sie verhört. „Ein Polizist zog meinen Kopf an den Haaren nach hinten und brüllte mich an: Er wisse genau, wir wollten sie verleumden, sie seien keine Nazis, das sei eine Lüge, wir würden Lügen verbreiten. Wir wären keine Österreicher, dies sei nicht unser Land“, erinnert sich Stahl, der wie die anderen mit gespreizten Armen und Beinen die ganze Zeit an der Wand stehen musste.

Die Polizisten zertraten Handys und Uhren der jungen Tübinger. Dann kam ein Fotograf: „Einer von uns wurde unter höhnischem Gelächter der Polizisten gezwungen, in die Kamera zu lächeln“, beschreibt Stahl. Nachdem die Polizisten die Personalien der vier per Funk durchgegeben hatten, nahmen sie ihnen die Schuhe ab. Die könnten sie an der letzten Tankstelle vor der Autobahn abholen, erklärten sie.

Doch an keiner der Tankstellen, die sie stadtauswärts anfuhren, warteten ihre Schuhe. „Die Menschen, denen wir dort unsere Geschichte erzählt haben, waren empört“, erzählt Stahl. Einer habe dann seine Tochter, eine Journalistin, informiert. Die angereiste Reporterin des Magazins News organisierte Kollegen, die Fotos von den Demonstranten schossen. Am folgenden Tag stellte ein Arzt Prellungen und blaue Flecken bei Stahl fest.

Das Magazin, dessen Journalistin die Vier „unmittelbar nach dem behaupteten Vorfall völlig aufgelöst“ angetroffen hatte, fragte bei der Wiener Polizei nach. Die Recherche ergab zwei Widersprüche: Anders als Stahl in seinem Gedächtnisprotokoll schreibt, gäbe es bei der österreichischen Exekutive keine Einheiten, die „sowohl schwarze Uniformen als auch schwarze Barette tragen“. Und das Fahrzeug mit dem Kennzeichen BP 800 sei kein Mannschaftswagen, sondern ein Wasserwerfer der Wiener Polizei. Titus Stahl erklärt: „Im Nachhinein will ich das Beamtenaussehen nicht mehr beschwören.“ Sein Zivi-Kollege Florian Warnweg meint: „Es könnte auch das Kennzeichen BP-600 gewesen sein.“

„Die Geschichte ist hundertprozentig passiert, es haben uns Menschen hinterher gesehen“, versichert Stahl. Für den Wahrheitsgehalt seines Protokolls spricht ein weiteres Rechercheergebnis des Wiener Magazins: Zur angegebenen Tatzeit sei eine Reservekompanie der Polizei im Bereich des Tatortes im Einsatz gewesen. Bei der Polizeidirektion sei allerdings noch kein Bericht dieser Einheit eingegangen. In Österreich muss bei Gewaltanwendungen eigentlich sofort eine Sachverhaltsdarstellung mit Maßnahmenkatalog von der entsprechenden Einheit verfasst werden.

Die Vier aus Tübingen wollen jetzt Strafanzeige erstatten und eine Zivilklage auf Schadensersatz einreichen. Der Sicherheitsdienst der österreichischen Polizei, dem sie ihre Gedächtnisprotokolle geschickt haben, ermittelt bereits. „Wir haben noch kein Resultat, rechnen aber in der nächsten Zeit damit“, erklärt Ernst Geiger, Hofrat im Sicherheitsdienst. Das Untersuchungsergebnis würde dann an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Mittlerweile recherchiert auch der Deutschland-Ermittler von amnesty international den Fall. Isabelle Siemes