beiseite
: Ursula Rucker

„Fuck, kill and prosper“, sagt sie. Ursula Rucker kann mir durchaus die Laune verderben. Es soll jedoch Leute geben, die das, was sie erzählt, davon trennen können, wie sie es erzählt. Die Sache mit der schlechten Laune erledigt sich dann von selbst, toppt doch ihre Stimme an Flow und Sexyness alles, was in den letzten Jahren über einen Beat geflüstert, gesprochen und erfleht wurde.

Dabei gehört Ursula Rucker eigentlich zur aussterbenden Spezies des Missstände benennenden, bürgerbewegten Ghetto-Poeten, ihre Texte könnten expliziter nicht sein. Dass sie nun ihren ersten Deutschland-Auftritt als Gast des nicht gerade unter Lyrikförderungs-Verdacht stehenden Jazzanova-Kollektivs bestreitet, haben wir letztlich einem Zufall zu verdanken.

Der House-Produzent und DJ King Britt war es, der sich 1994 auf einem Open-Mike-Poesie-Abend in Philadelphia wieder fand und schon nach den ersten Worten Ursula Ruckers beschloss, ihre Stimme, die nicht von dieser Welt schien, dürfe eben dieser nicht länger vorenthalten bleiben. „Supernatural“ hieß folgerichtig ihr Plattendebut, und zumindest in Philadelphia, ihrer Heimatstadt, war Ursula Rucker keine Unbekannte mehr. Auch die Roots hörten von ihrem Talent und luden sie ein, das Outro ihres Albums „Do you want more?!?!“ zu gestalten, eine Aufgabe, die sie derart überzeugend meisterte, dass man auch bei der Produktion der zwei folgenden Roots-LPs nicht auf sie verzichten mochte.

Ihre Geschichten von Kindesmissbrauch, ehelicher Gewalt, Black-on-Black-Crimes und durch Teufelspakte besiegelte Ghettokarrieren strotzten vor Wut und Hoffnungslosigkeit und waren dennoch zärtlich vorgetragen. Die HipHop-Community hinter sich wissend begann sie nun verstärkt dem progressiverem Teil, der an sozialen Fragestellungen normalerweise komplett desinterresierten Dancefloor-Fraktion in die Konsenssuppe zu spucken. Kollaborationen mit King Britt, dem Technoproduzenten Josh Wink und den Drum ’n’ Bass-Querdenkern 4 Hero festigten ihren Ruf, allein durch den Sound ihrer Stimme jeden durchschnittlich brillanten Track aufs übernächste Level zu hieven.

Ob ihr Sendungsbewusstsein – das auch nicht davor Halt macht, aus Sicht der Mutter Erde über das undankbare, umweltzerstörende und Krieg führende Menschenpack zu lamentieren (4 Heros „Loveless“)– überhaupt jemanden so erreicht, wie sie sich das vorstellen mag, sei dennoch bezweifelt. Es ist schlicht ihr Sound, der den Hörer schnell an andere, von ihr weniger intendierte Dinge denken lässt: Wer so sexy vom kommenden Armagedon kündet, riskiert Vermittlungsschwierigkeiten – zumal ihr radical chic den Produzenten in erster Linie Differenzgewinne verspricht. So möchte sie nun das Spiel umkehren, ein eigenes Album soll so gut wie fertig sein. Dort wird sie im Mittelpunkt stehen und die Studio-Elite wird brav ihren Klangteppich bürsten.

Einen Vorgeschmack wird es heute Abend geben und auch wenn die Revolution ein weiteres Mal verschoben werden sollte – die staunenden Gesichter der auf Tanz und Gesang Konditionierten im Angesicht einer sich gewaschen habenden Spoken-Word-Performance – die muss man wohl gesehen haben.

Cornelius Tittel

Heute, 22 Uhr, Pfefferbank, Schönhauser Allee 176