Der Pingpong-Ballon

■ Seit 1891 wird mit dem gleichen Ball Tischtennis gespielt: Jetzt sollein größerer, schwererer her, und selbst China steht hinter der Reform

Berlin (taz) – Zwei Millimeter Unterschied. Was macht das schon? Man erntet ein ungläubiges Grinsen, wenn man Tischtennisspielern das Zelluloid unter die Nase hält. Der hinterrücks statt des 38 Millimeter großen Standardgeschosses über die Platte gespielte neue Ball erweckt sofort Misstrauen. „Was ist das für ein merkwürdiger Ball?“ Nicht nur, dass die Kugel mit exakt vier Zentimeter Durchmesser so klingt wie ein kaputter 38-Millimeter-Ball – das Spielgerät besitzt ganz andere Eigenschaften. Darum will der Internationale Tischtennis-Verband (ITTF) jetzt während der Mannschafts-WM in Kuala Lumpur den neuen Ball absegnen.

„Nach den Olympischen Spielen in Sydney sollten die Fabriken in der Lage sein, 40-Millimeter-Bälle zu produzieren“, verkündete ITTF-Präsident Adham Sharara. Bei der Einzel-WM in Eindhoven hatte der revolutionäre Vorschlag die erforderliche Zweidrittelmehrheit unter den 127 Delegierten nur um zwei Stimmen verpasst. Die Materialkommission hatte vor Monaten noch Bedenken, weil die Schwere nicht definiert war. Jetzt soll diese von 2,5 Gramm auf 2,65 bis 2,75 Gramm steigen. Mit der prozentual geringeren Gewichtszunahme im Vergleich zur Größe verhält sich der Tischtennisball nicht wie ein „Luftballon“. Stattdessen rauben die zusätzlichen 0,15 Gramm dem Zelluloid einen Teil seiner Rotationskraft, außerdem sorgen die zwei zusätzlichen Millimeter Durchmesser für mehr Luftwiderstand und somit weniger Tempo.

Der ITTF geht es nicht um einen Boom in den darbenden Ballfabriken. Der Boom soll vielmehr im Fernsehen stattfinden. Erfreut sich Pingpong in Asien ausgiebiger TV-Präsenz, besonders in China, ergötzt es den Tischtennisfan hier zu Lande schon, dass Eurosport neuerdings ab und an dienstags Champions-League-Spiele überträgt. Für Zusammenschnitte von Bundesligaspielen am Samstag müssen die deutschen Vereine gar Produktionszuschüsse zahlen, um das DSF bei Laune zu halten. Die öffentlich-rechtlichen Sender kommen nicht mehr ihrem Anspruch nach Vielfalt und Anspruch auf eine Grundversorgung nach. Warum auch? Es gibt Fußball, jeden Tag. Was scheren da 700.000 aktive Tischtennissportler?

Der neue Ball soll die Malaise beseitigen: Weg vom Aufschlag–Topspin–Punkt; hin zu längeren und damit attraktiveren Ballwechseln für das Auge. Das gelingt. Der 40-Millimeter-Ball fliegt langsamer und lässt Abwehrspielern mehr Reaktionszeit. Aber auch ein Haudrauf findet durchaus Gefallen, behilft sich mit Angriffsraffinesse oder lässt sich gar zwei, drei Meter hinter die Platte drängen. Durch Behändigkeit und flinke Beine bringt man viel eher als früher den Schläger noch hinter Schmetterbälle. Eine neue Ära für Abwehrspieler könnte anbrechen, auch mehr Spaß für sie und die Zuschauer. In Japan werden im Seniorenbereich seit Jahren langsamere Bälle eingesetzt: Die mit 38 Millimeter Durchmesser wiegen knapp über zwei Gramm, ein 44-Millimeter-Zelluloid bringt es dort auf bis zu 2,4 Gramm.

Das Verbandsorgan Deutscher Tischtennissport wertete die Erfahrungen von 80 Testern mit dem neuen Ball aus. Das Ergebnis verblüfft, weil Spieler aller Kategorien in der Mehrzahl der ersten grundlegenden Ballreform seit 1891 positiv gegenüberstehen. Die Hemmschwelle sank, je höher die Klasse der Tester angesiedelt war. So verwundert es wenig, dass auch das übermächtige China hinter der Reform steht. Hartmut Metz