Irans Reformer sind auf dem Durchmarsch

Bei den Parlamentswahlen zeichnet sich eine Niederlage der Konservativen ab

Berlin (taz) – Die hohe Wahlbeteiligung wurde Irans Konservativen zum Verhängnis. Mehr als 80 Prozent der etwa 39 Millionen Wahlberechtigten haben bei den Parlamentswahlen in der Islamischen Republik am Freitag ihre Stimme abgegeben – die meisten votierten für Reformer. Bis gestern Nachmittag entfielen auf diese 102 der bis dahin vergebenen 190 Parlamentssitze. Die Konservativen bekamen nur 43, als Unabhängige auftretende Kandidaten 37 Sitze. Die endgültige Verteilung der insgesamt 290 Parlamentssitze wird Ende der Woche erwartet. Danach sind noch etliche Stichwahlen nötig. Wann diese stattfinden, ist noch nicht bekannt. In Teheran wird vermutet, dass die Konservativen versuchen werden sie hinauszuzögern um zu überlegen, wie sie ihre Schmach mindern können.

Das sich abzeichnende Ergebnis ist ein erneuter Sieg des reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami. Die hohe Wahlbeteiligung ist aber auch ein Zeichen dafür, dass diesmal viele BürgerInnen zu den Urnen gingen, die sich sonst nicht für Abstimmungen begeistern lassen, weil sie dem System Islamische Republik distanziert gegenüberstehen. Einige von ihnen dürften Hoffnungen auf das Reformlager setzen, die über Chatamis Ziele hinausgehen.

Bisher war das Parlament ein Hort der Konservativen. Jetzt scheint den Reformern ein Durchmarsch gelungen zu sein. So gewannen sie im eigentlich eher konservativen Isfahan alle fünf Sitze und übernahmen sogar die Führung in der Klerikerhochburg Maschhad und in Schiras. Ergebnisse aus Teheran werden erst in einigen Tagen vorliegen.

Es war die sechste Parlamentswahl seit der Islamischen Revolution vor 21 Jahren. Waren die ersten beiden Wahlen vergleichsweise frei, so wurden die Auswahlmöglichkeiten danach immer mehr eingeschränkt. Auch diesmal hatte der konservative Wächterrat etliche Kandidaten disqualifiziert, vorgeblich weil sie nicht auf dem Boden der Verfassung stehen. Dennoch stellten sich mehr als 5.700 Kandidaten zur Wahl, unter ihnen 400 Frauen. In den Städten Schusch und Schadegan kam es am Samstag zu Ausschreitungen. Dort protestierten hunderte Menschen gegen die Wiederwahl von Abgeordneten, denen sie Stimmenkauf vorwerfen. Beim Eingreifen der Polizei sollen mindestens acht Menschen getötet worden sein. Thomas Dreger