Kroatien: Die Kohl-Genscher-Straße in Trogir wird umbenannt
: CDU entwertet Vorbild Deutschland

Als ein befreundeter kroatischer Rechtsanwalt sich angesichts der Bürokratie in seinem Land kürzlich mit den Worten entschuldigte: „Wir leben noch in einem etwas wilden Staat, Sie in Deutschland sind ja . . .“, unterbrach er sich selbst. Und alle Anwesenden brachen in Gelächter aus. Die nicht gesagten Worte gehörten bisher zum Standardrepertoire von Menschen auf dem Balkan. „Sie in Deutschland sind rechtsstaatliche Verhältnisse gewöhnt, wir in Kroatien sind noch weit von diesen Standards entfernt.“

Die Monumente der Vorbilder bekommen Sprünge. Das schlechte Gewissen über die Lage der eigenen Nation wird entlastet, zumal das System Franjo Tudjman, das in den letzten Jahren auf Selbstbereicherung des Familienclans und seiner Partei beruhte, von den kroatischen Wählern mit großer Mehrheit abgewählt wurde. „Europäische Standards“ durchzusetzen, den „Weg nach Europa“ zu öffnen, dafür war die kroatische Opposition angetreten.

Deutschland und auch Kanzler Kohl genossen große Sympathien. Jetzt will der Bürgermeister der kroatischen Hafenstadt Trogir der Hauptstraße der Altstadt, die seit 1992 „Kohl-Genscher-Straße“ heißt, wieder den alten Namen „Gradska ulica“ zurückgeben. „Die Affäre Kohl wird unsere Lage verschlechtern“, stöhnte kürzlich ein Diplomat in Sarajevo. Die Vertreter der internationalen Gemeinschaft traten hier bisher mit der Gewissheit der Überlegenen auf. Zweitklassige Diplomaten spielten sich als große Demokraten auf; selbst Leute, die das System Kohl mittrugen, wollten Lehrmeister sein. Korruption und Misswirtschaft in Bosnien werden zu Recht angeprangert. Doch mit welchem Standing sollen dies nun vor allem die deutschen Diplomaten weiter tun? Devot nahmen die Bevölkerungen des Balkans bisher die Belehrungen an. Doch die gängige Meinung: „Wir müssen die Demokratie lernen, von Grund auf, das wird eine Generation dauern“, wird sich wohl verändern. Und auch das Verhältnis zu den „Göttern“ der internationalen Szene. So meinen inzwischen nicht wenige in Bosnien, Demokratie könne man nicht von anderen lernen, man müsse sie selbst machen, durchsetzen, Öffentlichkeit herstellen. „Immerhin haben die Medien bei euch eine große Macht“, sagte ein Journalist aus Sarajevo. „Wir haben sehr viele Skandale aufgedeckt, doch niemand hat sich darum gekümmert.“ Ob sich dies in Bosnien schnell ändert, ist zwar zweifelhaft. Sicher aber ist, dass Belehrungen aus Deutschland nicht mehr ernst genommen werden. Erich Rathfelder