Momente der Schwerelosigkeit

Tarkowski ohne Klischees: Chris Marker hat mit „Une journée d’Andrei Arsenevitch“im Forum ein unangestrengtes Porträt des verstorbenen russischen Regisseurs gedreht

für die Dramatik der bildenden Kunst

Chris Marker begegnet Andrej Tarkowski – wer sich das bislang als Aufeinanderprallen zweier vollkommen entgegengesetzter Temperamente vorgestellt hat, muss nach Markers „Une journée d’Andrei Arsenevitch“ umdenken. Mit seinem „Le tombeau d’Alexandre“, der 1994 im Forum zu sehen war, hat Marker bereits gezeigt, wie groß sein Interesse an russischer Filmgeschichte ist, sich aber gleichzeitig zu genau jener Tradition bekannt, in die sich Andrej Tarkowski nicht einfach einreihen lässt. „Le tombeau“ war mehr als eine Hommage an den „letzten bolschewistischen Filmemacher“ Alexander Medwedkin, es war auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen linken Sympathien und Idealen und nicht zuletzt der Schwierigkeit, diese im Kino zu verwirklichen.

Die Ideale, die Tarkowski bei seiner Arbeit bewegten, waren andere. Und es ist nicht ohne Ironie, dass es ausgerechnet Marker in seinem knapp einstündigen Porträt gelingt, abseits der üblichen, raunend-mystischen Tarkowski-Klischees dessen Werk und Arbeitsweise zu beleuchten. Man sieht ein paar Aufnahmen aus Tarkowskis letztem Lebensjahr: im Kreis der Familie, bei Aufnahmen in Schweden, beim Schnitt zu seinem Film „Opfer“, den er bereits todkrank vom Bett aus leitete. Beiläufige Bilder ohne bedeutungsschwere programmatische Aussagen oder allzu intime Einblicke. Wie ein guter Kunstkritiker benennt Marker die wichtigen Motive bei Tarkowski, die sich durch all seine Filme ziehen. Und macht zugleich mehr als das: An den von seinem Kommentar – interpretiert durch die schöne Stimme von Eva Mattes – begleiteten Filmausschnitten fällt stets etwas Neues auf. In der Zusammenstellung aus verschiedenen Filmen ergeben sich Korrespondenzen, die man so noch nie gesehen hat.

Es sind sozusagen Lieblingsstellen, die Marker uns hier vorführt – verständlich vielleicht sogar für jene Menschen, die einen Tarkowski-Film ansonsten nur mit Mühe in voller Länge durchstehen würden: die auf einem Gatterzaun sitzende Mutter, wartend und nervös rauchend zu Beginn von „Der Spiegel“; die lichterloh brennende Holzhütte im Sommerregen; der Moment der Schwerelosigkeit in „Solaris“; das erste Erklingen der Glocke aus „Andrej Rubljow“. Dass Marker manchmal doch ins Dozieren über das russische Wesen verfällt, verzeiht man ihm gerne, weil es ihm im nächsten Moment dann wieder gelingt, ein wirkliches Schlaglicht auf Tarkowskis Opus zu werfen. Er zeigt z.B., wie Tarkowski ein Gemälde abfilmt, und man erkennt dessen ganz besonderes Gespür für die Dramatik der bildenden Kunst und wie er sie in seinen Filmen einzusetzen vermochte.

Man erkennt Tarkowskis besonderes Gespür

Der Tonfall des Kommentars erinnert manchmal an „Sans Soleil“: Auch hier überlässt sich Marker mit Vorliebe den assoziativen und zufälligen Verknüpfungen. Das Ergebnis ist eine Art Entdeckungsreise durch die Welt des zu früh verstorbenen Andrej Tarkowski. Spannend ist das nicht nur im Hinblick auf Tarkowski. Das Objekt der Beobachtung wirft hier gleichsam ein besonderes Licht zurück auf den Autor: In „Sans Soleil“ hat man das markersche Interesse an Riten, Religion und magischen Korrespondenzen noch ganz für ein nüchtern-analytisches gehalten. Die Affinität, die er hier zu Tarkowskis Mystizismus an den Tag legt, lässt auf einmal anderes vermuten. Retrospektiv wird eine Art Seelenverwandtschaft zwischen dem dezidierten Westler Marker und dem Slawophilen Tarkowski erkennbar: Beide glauben sie mit Inbrunst an die Macht der Bilder. Barbara Schweizerhof„Une journée d’Andrei Arsenevitch“. Regie: Chris Marker. Frankreich, 55 Min.; heute 15 Uhr, Cinestar 5