„Man muss den Kulturkampf aufnehmen“

■ Davonlaufen gilt nicht! Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel im Gespräch über die Rolle der Kultur in Österreich und die Zukunft des Bachmann-Preises. Der Juryvorsitzende plädiert dafür, standzuhalten und den Klagenfurter Wettbewerb stattfinden zu lassen

Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel war über zwanzig Jahre politisch in der österreichischen Linken aktiv. Gegen Ende der Siebzigerjahre veröffentlichte er erste Lyrikbände. 1992 erschien dann sein erster Roman. Es folgten mehrere Auszeichnungen, unter anderem der Erich-Fried-Preis. Schindel wurde 1944 in Bad Hall geboren, überlebte als Kind kommunistischer Eltern inkognito in einem Nazi-Waisenhaus. Schindel thematisierte vielfach den österreichischen Rechtspopulismus. In einem 1995 veröffentlichten Essayband schrieb er: „Der erwähnte Jörgl (Herr Dr. Haider) will gerne die Dritte Republik errichten und versucht, die Zweite zu Tode zu denunzieren. Er schürt Sozialneid und Fremdenhass, spielt mit den Ängsten und hetzt die Leute gegeneinander auf. Die längst nicht mehr so gediegenen, nicht bauernschlauen etablierten Politiker wissen nicht recht, was sie dagegen tun sollen. Ein Teil der Bevölkerung sitzt in Bierzelten und wiehert, ein anderer hat Fackeln in der Hand und schluchzt.“

taz: Wie beurteilen Sie die Entscheidung der Bachmann-Erben, den bisherigen Bachmann-Preis nicht mehr unter diesem Namen vergeben zu dürfen?

Robert Schindel: Es ist verständlich, dass die Erben verärgert sind, seitdem die FPÖ in die Regierung gegangen ist, und nun Sorge um den guten Ruf des Preises haben. Andererseits sind sie ja durchaus dafür, dass der Wettbewerb weiterhin stattfindet.

Wollen Sie denn Vorsitzender der Jury bleiben?

Ja. In dieser Situation kommt es für mich darauf an, nicht nachzugeben. Man sollte der Kahlschlagpolitik von Jörg Haider nicht Vorschub leisten, indem man aus Protest alles absagt. Im Gegenteil: Es ist wichtig, mit kulturellen Mitteln, zu denen auch dieser Wettbewerb gehört, standzuhalten und weiter etwas für Literatur in diesem Land zu machen.

Was halten Sie von Rücktritten wie dem des Salzburger Festspielchefs Gérard Mortier?

Sein Schritt ist nachvollziehbar. Mortier hat als Intendant sehr viel mit der Regierung zu tun. Da er ohnedies geht, setzt er nun mit seinem Entschluss ein wichtiges Zeichen. Grundsätzlich bin ich aber dafür, den Kulturkampf aufzunehmen, anstatt davonzulaufen.

Demnach haben Sie vermutlich noch nicht erwogen, Ihre Texte für die österreichischen Leser zu sperren, ähnlich wie es Elfriede Jelinek nun mit dem Aufführungsverbot Ihrer Stücke getan hat.

Ich kann Elfriede Jelinek durchaus verstehen. Sie ist vielfach attackiert und persönlich verletzt worden von den Herren, die jetzt an der Regierung sind. Als persönliche Entscheidung respektiere ich ihren Schritt durchaus. Aber grundsätzlich bin ich gegen solche Handlungen. Wir brauchen gerade jetzt mehr Stücke – auch von ihr –, um zu zeigen, dass es auch ein anderes, hoffnungsvolleres, ziviles und kulturelles Österreich gibt.

Wie konnte es überhaupt zu einem solchen Rechtsruck in Österreich kommen, was ist versäumt worden?

Es gibt hier ein politisches System, das dreißig Jahre lang still stand, weil sich zwei Parteien ganz allein das Land aufteilen konnten. Der Stillstand war zwar auch mit Wohlstand und wirtschaftlichem Wachstum verbunden, aber er hat sehr viel Korruption mit sich gebracht und Haiders Aufstieg letztendlich ermöglicht. Haider ist ein großer Volksredner und Demagoge, der die Fehler des Systems sehr gut ausgenutzt hat. Dass die FPÖ nun mitregiert, liegt einzig daran, dass die ÖVP mit Schüssel einen sehr machtgeilen Parteivorsitzenden hat, der unbedingt – ob es dem Land schadet oder nicht – Bundeskanzler werden wollte.

Wovor warnen Sie angesichts der Beteiligung der FPÖ an der österreichischen Regierung?

Ich warne vor dem, was schon eingetreten ist. Wir müssen jetzt der Regierung genau auf die Finger schauen und sie bereits bei den geringsten Menschenrechtsverstößen anprangern. Ich warne vor dem, was die FPÖ in sich trägt: menschenverachtenden Populismus quer durch alle Bereiche, von der Kulturpolitik, der Einwanderungspolitik bis zur Sozialpolitik.

Sind wir in einer zweiten Weimarer Republik?

Haider traue ich keinen Verfassungsbruch und keine antidemokratischen Maßnahmen größeren Ausmaßes zu. Das müsste dann ein anderer machen. Ich weiß nur nicht, wer, aber es kann ein Ärgerer kommen. Wir sind zwar in der EU, aber es kann auch mal eine EU auseinanderbrechen.

Sollte denn nun Österreich international isoliert werden?

Ich möchte natürlich nicht, dass die internationale Gemeinschaft Österreich unter Quarantäne stellt. Das würde nur Trotz hervorrufen und Haider stärker machen. Es ist aber auch eine Frage der Zeit. Wenn die Rechtsregierung länger andauert, dann kann die Situation kippen und internationaler Druck wichtig werden. Aber im Prinzip müssen wir mit dem Problem selbst fertig werden. Hierzu haben wir die Chance, wenn wir eine gute Opposition und auch außerparlamentarische Widerstände aufbauen. So ein gemeinsamer Widerstand kann uns demokratisch reifer werden lassen und bekämpft zusätzlich Haider.

Trotz des enormen Zulaufs der FPÖ ist es ja so, dass in Österreich sehr viel weniger rechtsradikale Straftaten begangen werden als in Deutschland. Wie erklären Sie sich das?

In Österreich können Straftaten rechtsextremer Art nur dann geschehen, wenn man sie von oben befiehlt. Wir sind historisch betrachtet schon immer ein autoritätsgläubiges Volk gewesen. Grabschändungen und Ähnliches, das bei uns übrigens auch vorkommt, passieren in Österreich eigentlich nicht auf Privatinitiative. Das Bündeln der rechten Massen in der FPÖ verhindert gewissermaßen, dass manche Menschen auf dumme Gedanken kommen.

Hat die FPÖ also eine wichtige Funktion in Österreich?

Man kann schon sagen, dass Haider mit seiner Partei das rechtsradikale Potenzial in gewisser Weise kanalisiert hat. Er spricht ja Leute von ganz rechts bis hin zur eigentlich eher sozialdemokratisch ausgerichteten Arbeiterschaft an.

Sie sind jüdischer Herkunft. Muss man sich als Jude in Österreich in Zukunft bedrohter fühlen als bisher?

Die Aggressivität der Rechtsnationalen in Österreich richtet sich hauptsächlich gegen Ausländer und nicht gegen Juden. Es gibt ohnehin zu wenig Juden in Österreich, als dass man mit Judenfeindlichkeit Massen bewegen könnte. Durch seine Ausländerfeindlichkeit kann Haider mehr erreichen. Es sieht auch nicht so aus, als ob sich das ändern würde.

Haben die Schriftsteller und Intellektuellen zu wenig vor dem Rechtspopulismus gewarnt?

Das würde ich nicht sagen. Sie sind Tag und Nacht im Kampf gegen Haider seit Jahren unterwegs, und Haider selbst hat ja auch viele Schriftsteller und Künstler ins Visier genommen. Elfriede Jelinek und Peter Turrini hat er auf seinen Wahlplakaten bei der letzten Wahl öffentlich angegriffen. Auch den Kärtner Maler Cornelius Kolig hat er jahrelang bekämpft. Thomas Bernhard, der ja nun schon tot ist, war auch stets Zielscheibe seiner Attacken. Aus meiner Sicht kann man den Intellektuellen keinen Vorwurf machen.

Könnte es denn nicht sein, dass die Sprache der Schriftsteller manchmal zu abgehoben ist und deshalb eine breite Öffentlichkeit nicht erreicht?

Man muss hier zwischen der künstlerischen und der praktischen politischen Tätigkeit der Schriftsteller unterscheiden. Wir haben alle außerhalb des Artikel- und Romanschreibens Stellung gegen Haider bezogen.

Interview: Oliver Schilling