Schwedische Angriffslust

Wenn es sein muss, will sich die EU-Umweltkommissarin Margot Wallström mit allen anlegen: Mit der Chemieindustrie, der Bauernlobby und auch mit den zögerlichen Deutschen ■ Von Maike Rademaker

Berlin (taz) – Die Verursacher von Umweltschäden sind individuell haftbar zu machen. Dieser Chemiestall muss ausgemistet werden. Name and Shame: Die Besten benennen, die anderen beschämen.

Diese klaren Worte zur europäischen Umweltpolitik stammen nicht von Greenpeace, sondern von Margot Wallström, seit September die amtierende EU-Umweltkommissarin. In den letzten drei Tagen besuchte die zierliche Schwedin die Bundesrepublik, um an der Umweltkonferenz zur Entwicklung von Städten und Gemeinden in Hannover teilzunehmen, Umweltminister Jürgen Trittin zu treffen und ein Naturschutzgebiet zu besichtigen.

Für die Bundesregierung ist Wallström zur Zeit besonders interessant, weil sie für die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) zuständig ist. Bis jetzt sind immer noch nicht alle, dieser Richtlinie entsprechenden, Gebiete als Naturschutzgebiete an die Kommission gemeldet worden, obwohl die Aufforderung fünf Jahre alt ist. Deswegen ist die Bundesregierung vor dem europäischen Gerichtshof verklagt worden, es drohen Bußgelder in Höhe von 1,5 Millionen Mark. Täglich. Auch die Strukturfonds für die bislang säumigen Bundesländer könnten gesperrt werden. Am Mittwoch äußerte Wallström in Berlin Unverständnis für die Verzögerungen: „Diese Listen werden nicht für die EU-Bürokratie erarbeitet, sondern für den Naturschutz – und das langsamste Land bestimmt hier den Fortschritt.“

Deswegen forderte die Kommissarin von Trittins Ministerium ein Quentchen mehr Arbeit und Sorgfalt: „Das Bundesministerium soll die von den Ländern eingereichten Listen der FFH-Gebiete auf Korrektheit prüfen – und nicht nur als Postdienststelle dienen.“ Dass in den Bundesländern vor der Meldung umfassende Gespräche mit Wirtschaft und Bauern stattfinden, findet sie „gut, aber wir wollen endlich die Listen haben, damit wir arbeiten können“.

Offene Worte und klare Prioritäten sind seit jeher Markenzeichen der 44-jährigen ehemaligen Kulturministerin Schwedens. Das schätzen auch die NGOs an ihr: „Sie ist beeindruckend offen für den Dialog mit uns – mehr als ihre Vorgängerin“, so Hans Wolters von Greenpeace International. Die Sympathie kommt nicht von ungefähr: Als Ministerin fuhr Wallström mit den Atomkritikern nach Mururoa, um gegen die französischen Atomtests zu protestieren.

Bei den FFH-Gebieten wird die Kommissarin aber bei aller sanften Forschheit, die sie demonstriert, noch ganz andere Schwierigkeiten bekommen. Will sie einen weiteren Eintrag von umweltschädlichen Pestiziden in Boden und Wasser in den Gebieten verhindern, muss sie sich unter anderem mit dem zuständigen EU-Kommissar für Landwirtschaft, Franz Fischler, verständigen, dessen Klientel, die Bauern, sich gegen weitere Regulierungen wehrt. Der fünfte Umweltaktionsplan der EU, der dieses Jahr endet, strebte allgemein eine Reduzierung der Pestizide an. Passiert ist nichts. Also landen weiter rund 300.000 Tonnen Pestizide auf den Äckern der EU. Das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) aus Hamburg forderte Wallström deswegen auf, sich für Reduzierungen einzusetzen. Eine Antwort haben die Umweltschützer bislang nicht erhalten, die entsprechende Kommunikation der Kommission zur Pestizidpolitik wird verzögert.

Dabei müsste die Kommissarin zumindest aus ihrem eigenen Land viel Rückhalt bekommen: Schweden hat laut PAN ein vorbildliches Reduktionsprogramm. Angst hat Wallström vor dem Bauernvertreter nicht: „Wir müssen vielen Abteilungen in der Kommission noch eine Menge beibringen.“

In Kommunikation hat Wallström nicht nur Erfahrung, sie betreibt sie auch aktiv: Am 3. Februar chattete die Kommissarin im Internet mit europäischen Surfern, unterstützt von Übersetzern. Rund 700 Fragen in allen Sprachen und zu allen Themen rauschten ihr auf den Bildschirm, eine – meisterbare – Herausforderung für die ehemalige Leiterin eines schwedischen Fernsehsenders.

Eine Herausforderung ist auch ein weiterer Schwerpunkt, den sie sich gesetzt hat: die Chemikalienpolitik. Den „ Stall“, drohte die Kommissarin bei Amtsantritt, wolle sie ausmisten. Bislang hat es die Chemie-Industrie immer wieder geschafft, Vorschriften zu verhindern. Verbote wie die bei den sechs Kunststoffweichmachern reichen Wallström nicht. Beim Stichwort Chemie bekommt die Stimme der Kommissarin einen angriffslustigen Unterton: „Es gibt hunderttausend Substanzen, da kann die Kommission sich nicht mit dem Verbot von ein paar beschäftigen. Hier muss die Beweislast umgekehrt werden, die Produzenten müssen zeigen, dass es nicht gefährlich ist.“

Dass sie sich durchsetzen kann, hat Wallström auch schon in anderen Bereichen bewiesen. Weil sie Mann und Kinder öfter sehen wollte, wurde ihr Kulturministerium zwei Tage in der Woche an ihren Heimatort verlegt.