Die Fleischlieferantin

Ihr blauer Laster ist ihr Zuhause. Die Frau versorgt Zoos, Tierheime und Zirkusse mit gutem Futterfleisch. Sie ist klein und korpulent. Sie ist 62, als die Liebe über sie kommt wie ein Schicksalsschlag, den es hinzunehmen gilt. Eine Erzählung von Cornelia Kurth

Was für eine Frau!, nicken sie sich zu, die Zirkusdirektoren und Raubtierdompteure, die Schlachtermeister, Tierheimleiter und Zooinspektoren. Jeder kennt ihren blauen Lkw, einen Siebeneinhalbtonner, mit dem sie über die Autobahnen braust und schon mindestens acht Punkte in Flensburg gesammelt hat, weil sie natürlich in einem durchfährt von München nach Hannover, von Hannover nach Dresden, von Dresden nach Köln und von Köln nach Berlin, um das Futterfleisch für die Tiere auszuliefern, allerbeste Sorte und noch was extra dazu. Die Fleischlieferantin ist klein und korpulent, sie klagt über ihren kaputten Rücken und die schmerzende Schulter, ihr Haar trägt sie gelockt nach Altfrauenmanier, und in ihren kindlich-großen, blassblauen Augen erscheint nur in seltenen Momenten ein Lächeln. Aber wenn sie vom hohen Sitz ihres Lkws herunterklettert und mit sicheren Griffen die schwere Tür des Kühlwagens öffnet, wenn sie die Fleischkisten mit toten Eintagsküken, gefrorenem Pansen und anderen Innereien von der Ladefläche wuchtet und dann endlich einen Helfer heranlässt, mit dem sie die Pferdehälse, Rinderviertel und halben Schafe auslädt, dann werfen sich die Mitarbeiter vom Zoo, vom Zirkus, vom Tierheim diese Blicke zu: Was für eine Frau! Und einmal sagte einer: „So eine Frau wie Sie, die könnte ich brauchen ...“

Sie hat Kinder, irgendwo, und Jahre ist es her, da starb ihr Mann, der Schlachtermeister war und ein ganzer Kerl, bevor ihn die schwere Krankheit lahm legte und mit ihm zugleich auch das Geschäft zugrunde ging. Gereicht zum Leben hätte die Witwenrente vielleicht schon, aber soll man denn aufs Altenteil gehen, mit gerade sechzig Jahren? Nein, die Fleischlieferantin muss arbeiten. So war es, und so wird es immer sein. Und die weiten Fahrten mit ihrem blauen Lkw, und die Nächte in der Schlafkombüse auf irgendwelchen Parkplätzen, die Abschlepperei mit dem Fleisch und die zähen Preisverhandlungen beim Einkauf und beim Verkauf, das alles ist nicht schwerer und nicht leichter als Schlachten und Wursten in eiskalten Küchen. Und ganz allein zu sein, auch das ist nicht leichter und nicht schwerer als die vielen Jahre mit ihrem Schlachtermeister, der einst ihr Lehrherr war, eine gute Partie, ein, ach, eigentlich nur irgendeiner, der gerade da war.

„So eine Frau wie Sie, die könnte ich brauchen ...“ Der das gesagt hat, traf ins Herz der kleinen, zähen Fleischlieferantin, ganz so, als sei sie in ihrem Leben noch nie von jemandem gebraucht worden. Er sagte es eher beiläufig, nachdem sie ihm wieder mal so nett geholfen hatte, seine drei alten Löwen, die beiden Tiger und den schwarzen Panther zu füttern, die alle zu seiner einst gerühmten gemischten Raubtiergruppe gehörten und nun in seiner kleinen privaten Tierpension das Gnadenbrot bekommen. „Hunde und Katzen, die kann mein alter Tierpfleger versorgen“, sagt er, „aber die Raubtiere, die kann ich nie alleine lassen. So eine Frau wie Sie ...“ – und sieht ihr mit breitem Lächeln unbefangen in die großen blassblauen Augen.

Die Fleischlieferantin hat gesehen, wie er in seiner spinnennetzverwebten Futterkammer den grünlichen Pansen mit bloßen Händen packt, an den Fleischerhaken hängt und mit sorgsam prüfenden Blick („liebevoll“, dieses ungewohnte Wort fällt ihr ein) die Portionen herausschneidet. Wie er ein blutiges Rinderherz greift, zerteilt, und es, als Extraleckerbissen, zu den Löwen trägt. Wie er das Beil nimmt und mit einem Schlag die Pferdebrust zertrennt. Als sei er vom Fach. Als hätte er die Schlachterei gelernt. Und kommt doch aus einer Beamtenfamilie, ist ein studierter Mann, ein echter Biologe, der sogar geforscht hat an der Universität. Er ist sich nicht zu schade, für den Pansen mit seinem Gärgeruch nicht und nicht für sie, die einfache Fleischlieferantin, die obendrein schon 62 ist, und er noch keine 50. Nimmt sie mit in sein Stammlokal, wo er jeden Tag isst, weil niemand für ihn kocht und er nicht mal eine Kochstelle hat in seiner Junggesellenwohnung. Sein Bart müsste mal geschnitten werden und wirklich, er trägt denselben schmutzigen Pullover wie vor vierzehn Tagen, wie vor vier Wochen schon.

Einmal bringt die Fleischlieferantin kein Fleisch (es ist eine Woche zu früh), sie bringt einen hausgemachten Nudelsalat an und ihre Spezialfrikadellen. Sie hat sich nicht geschminkt und zurechtgemacht, nein, das fällt ihr gar nicht ein, und wenn es ihr eingefallen wäre, so würde es doch nichts ändern am Altersunterschied von über fünfzehn Jahren und auch nichts daran, dass sie ganz und gar nicht schön ist. Aber: „Was für eine Frau!“, das hat man oft genug gesagt, und zwei Ehrenkarten vom größten Zirkus kann sie zücken, als Geschenk und als Einstieg in ein Gespräch über den Zirkus, die Tiere und das Leben, bei Nudelsalat und Frikadellen aus mitgebrachten Plastiktellern, ein Essen, das der große Mann mit vergnügtem Schmatzen verzehrt, mit einem Schmatzen, wie man es sich nur in vertrautester Gemeinschaft erlaubt. Sie sitzt dann stundenlang bei ihm auf der Bank vor dem Büro der kleinen Tierpension. Sein Schweißgeruch steigt ihr in die Nase, seine Stimme ist tief, warm, nah. Mal wird eine Katze gebracht, mal ein Hund abgeholt, das Telefon klingelt, und der alte tüddelige Tierpfleger setzt die Misteimer ab, um eine neue Anweisung vom Chef zu erfragen. Und der kehrt doch immer wieder zur geduldig wartenden Fleischlieferantin und zur Unterhaltung zurück.

Er redet wie von Gleich zu Gleich mit ihr, mit all den derben Sprüchen (die sie von ihrer Kundschaft kennt) und mit klugen, nachdenklichen Worten (niemand, den sie bisher kannte, redet so), Worte, die sie plötzlich versteht und die sie klüger machen. Wenn sie jetzt mit ihrem blauen Lkw unterwegs ist, zögert sie erst lange und greift dann doch zum Handy: „Ich bin grade vor der Stadt, soll ich dir etwas mitbringen?“ Und manchmal ruft sie auch nur an und fragt: „Wie geht’s?“

Die Fleischlieferantin war noch niemals in ihrem Leben verliebt, aber jetzt ist es soweit. Sie nimmt es hin wie den Tod ihres Mannes, das heißt: Sie stellt sich drauf ein. Die schmutzige Wäsche schwatzt sie ihm ab und bringt sie gewaschen wieder mit, zusammen mit einer neuen Hose, die er erst nicht haben will und dann doch trägt, sie hat es ja gewusst. Und täglich ruft sie abends an, weil sie nicht schlafen kann, wenn er noch allein bei den Raubkatzen war. Das ist so, wenn man liebt. Das muss so sein. „Und denkst du nicht ein bisschen auch an mich?“ Das fragt sie ihn, scheu zu Anfang. „Hast du mich auch ein kleines bisschen lieb?“

Wenn er ihr keine rechte Antwort gibt und manchmal sogar mürrisch wird, dann verzeiht sie ihm, er kennt sich ja nicht aus, er weiß ja weniger als sie es endlich weiß über die Liebe und wie das ganze Leben, vom Morgen bis zum Abend, von der Liebe erfüllt sein kann. Um ihn herauszufordern sagt sie mutig: „Du findest wohl, ich bin zu alt für dich.“ Er sagt dann, Unsinn, nein, das ist es nicht. Und einmal, als sie bei den Löwen stehen, die zufrieden die guten Lendenstücke lecken und zerbeißen, da erzählt er, eilig, um es hinter sich zu bringen, dass auch er dies eine Mal geliebt hat, damals, ohne Gegenliebe zwar, und schrecklich war es auch, doch nun sei es vorbei, verschenkt und abgetan. Die Fleischlieferantin hört es schweigend und erschüttert an und schwört sich mit all ihrer Festigkeit, dass sie ihn nie, niemals verlassen wird, was auch immer geschieht, was auch immer er tut.

Diesen Schwur zu halten, das wird schnell härter als sie dachte, schwerer als alles, was sie je zu schleppen hatte. Denn je häufiger sie anruft, desto häufiger ist sein Telefon auch mal besetzt. Je öfter sie vorbeikommt, desto öfter hat er auch mal keine Zeit für sie. Weil es offensichtlich noch andere Menschen in seinem Leben gibt, mit denen er vor der Bank des Tierheimes sitzt und über die Arbeit, den Zirkus, das Leben spricht. Manchmal, ja manchmal ist er einfach gar nicht da. Dann trifft sie nur den alten Tierpfleger mit seinen Misteimern, oder sie muss das Telefon klingeln lassen, nachts, immer und immer wieder, dann weiß sie nicht, ob er noch einmal die Raubkatzen besucht hat. Oder wo könnte er jetzt sonst sein? „Wo warst du?“

Die Fleischlieferantin erledigt wacker weiter ihre Arbeit. Ihr Rücken schmerzt vielleicht ein bisschen mehr, und auch das Reißen in der Schulter wird nicht besser, nein, das kann sie wahrhaftig nicht sagen, im Gegenteil, sie klagt durchaus, speziell in seiner Gegenwart, und wuchtet dann zwei Kisten übereinander und hilft, wann immer es ihr Arbeitsplan erlaubt, im Tierheim, schiebt Karren voll bis obenhin mit Sand und schleppt dreimal mehr als die junge Praktikantin, die seit neuestem jedes Wochenende kommt und nicht nur die Pensionstiere versorgt, sondern sich ungeniert zur Fütterung der Löwen, Tiger, Panther drängt und auch noch redet, tausend Fragen stellt, an ihn. „Ist deine Praktikantin wieder da?“ fragt sie von unterwegs. „Dann fahre ich erst nach Bielefeld und Bonn und komme später.“ In Ordnung, sagt er scheinbar teilnahmslos.

Und nimmt doch weiter ihre Frikadellen, lässt zu, dass sie die Fenster putzt und freut sich über das besonders gute Fleisch für seine Tiere. Wenn er nicht liebt, nicht lieben kann, nicht mehr, noch nicht, so braucht er sie doch jedenfalls. Würde er denn sonst, wie er es treu und redlich tut, jeden Abend anrufen, wo auch immer er sich aufhält, mit dem Handy, das sie ihm geschenkt hat. Anruft, damit sie schlafen kann. Auch wenn er dabei gemein ist zu ihr, sagt, dass sie ihm auf die Nerven geht und dass er doch nichts anderes will, als seinen Frieden mit sich selbst, mit sich allein, auch dann noch kann sie schlafen. „Rede was du willst, es ist egal, nur rede, denn deine dunkle Stimme, die brauche ich, damit ich schlafen kann.“

Die Fleischlieferantin wird ihn nicht fahren lassen. Niemals. Sie bringt das Fleisch für seine Tiere, allerbeste Sorte und noch was extra dazu. Sie bringt die Liebe. „Was für eine Frau!“

Cornelia Kurth, 39, lebt als freie Autorin in Rinteln. 1998 erschien ihr Roman „Frederikes Tag“, Frankfurt am Main, Eichborn, 118 Seiten, 28 Mark. Ihre Lieblingsblumen sind duftende Rosen