Die Tunte blieb der Truppe fern

■ Ein 28-Jähriger politischer Totalverweigerer wurde gestern vom Bremer Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt / Möglich sind laut Gesetz Strafen bis zu fünf Jahren Gefängnis

Es war eine bunte, größtenteils autonome Solidaritäts-Gemeinde, die sich gestern Morgen im Saal 451 des Bremer Amtsgerichts versammelte. „Totalverweigerungsprozess gegen Tunte“ hatten Flyer den Prozess in linken Kreisen angekündigt, „Kommt zahlreich! Schicke extravagante Kleidung ist erwünscht! fummelt euch auf, queert euch an, transt euch um“. So kam es.

Die Bundeswehr hatte nichts unversucht gelassen, den Angeklagten Christian H. zum Dienst an der Waffe zu bewegen. Zwei Einberufungsbefehle zu einem Luftwaffenstützpunkt in den Niederlanden hatte er ignoriert, war sogar ein Jahr lang abgetaucht, um den Feldjägern zu entgehen. Seit dem 31. Dezember 1999 ist der 28-Jährige endgültig zu alt, um noch zum Zivil- oder Wehrdienst gezwungen zu werden. Doch noch am 29. Dezember hatten es sich Polizei und Bundeswehr nicht nehmen lassen, das Gewerkschaftslokal der „Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union“ in Bremen zu durchsuchen – dort war Christian H. offiziell gemeldet. Die Beamten fanden nichts. Zum Prozesstermin gestern war Christian H. gekommen, um einem Haftbefehl zu entgehen.

Der lapidare Vorwurf der Staatsanwaltschaft: eigenmächtiges Fernbleiben von der Truppe. Bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug stehen auf dieses Vergehen. Der Angeklagte ließ keinen Zweifel daran, dass er aus politischen Gründen ablehnt, Zivil- oder Wehrdienst zu leisten. Seit vielen Jahren beteilige er sich an Beratungen für totale Kriegsdienstverweigerer, berichte in einem Radiosender regelmäßig über Prozesse gegen Totalverweigerer und sei in der antifaschistischen und anarchistischen Bewegung aktiv, erklärt ein Flugblatt von Sympatisanten.

In seiner Prozesserklärung, die bis zum Ende der Verhandlung die einzige Äußerung des Angeklagten blieb, legte Christian H. seine Beweggründe dar: Kriegsdienst sei nichts anderes als Zwangsdienst, der in Deutschland eine „unrühmliche Tradition“ habe. Der Staat beurteile die Menschen nur nach ihrer Verwertbarkeit. „Die, die nicht wie gewünscht funktionieren, werden aussortiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt“. Die Bundeswehr bringe jungen Männern nicht nur das Töten bei, sondern verfestige auch ein Weltbild, das sich gegen Frauen, Lesben, Schwule oder transgeschlechtliche Menschen wende. Der Staat leiste zudem dem Rassismus vorschub, schotte sich durch die Asylpolitik nach außen ab und habe vom Primat der Verteidigungsarmee Abstand genommen. Jede Handlung, die helfe, diese Verhältnisse aufrecht zu erhalten, laufe seiner Identität zuwider. Daher lehne er jeden Dienst für den Staat ab.

Der Richter versuchte hilflos, die Genese der Gewissensbildung von Christian H. zu erforschen. „Richter werden in solchen Verfahren gezwungen, etwas zu tun, was sie nicht können“, erinnerte Verteidiger Günter Werner, „nämlich, das Gewissen zu überprüfen“. Er habe keinen Zweifel an den Beweggründen seines Mandanten.

Die Staatsanwältin beantragte letztendlich eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen á 15 Mark, der Verteidiger den Freispruch. Der Richter folgte mit dem Urteil dem Antrag der Staatsanwältin, womit Christian H. nun als vorbestraft gilt. In der Urteilsbegründung attestierte der Richter dem Angeklagten „glaubhaft“ zu sein und eine gefestigte Einstellung zu haben. Bundesweit werden nur etwa drei Männer pro Jahr wegen politischer Totalverweigerung verurteilt, schätzt die „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer“ aus Bremen. cd