Südafrikas unsichtbarer starker Mann

Südafrikas stiller Präsident Thabo Mbeki tritt nicht oft heraus ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Seine gestrige Rede zur Parlamentseröffnung bot die seltene Gelegenheit einer politischen Bilanz ■ Aus Kapstadt Kordula Doerfler

Zu Beginn seiner Rede wagte Südafrikas Präsident einen kleinen Scherz: „Ich fühle mich ein wenig eingeschüchtert, denn da oben sitzen Nelson Mandela, seine Frau Graca Machel – und meine Mutter“, sagte Thabo Mbeki gestern in seiner Regierungserklärung anlässlich der diesjährigen Parlamentseröffnung in Kapstadt. Mit feiner Selbstironie spielte Mbeki damit auf etwas an, was er eigentlich gar nicht schätzt: den Vergleich mit seinem Vorgänger.

Die Abgeordneten klatschten johlend. Sie waren gut gelaunt, nutzten den Tag einmal mehr als Modenschau – und waren dankbar, den Präsidenten überhaupt einmal zu sehen, auch wenn seine Rede wenig Überraschendes enthielt. Denn anders als Mandela macht sich Mbeki im Parlament bislang rar – so rar, dass auch schon im ANC mitunter gemurrt wird über den unsichtbaren Mann an der Spitze. Sollte die Regierung nicht dem Parlament Rechenschaft ablegen über ihr Tun?

Mbeki aber versteht seine Präsidentschaft anders. Er agiert im Hintergrund und ist selbst im Fernsehen nur selten zu sehen. Wer dies jedoch als Schwäche auslegt, irrt. Mbeki hält seine Mannschaft eisern am Zügel. Die täglichen Geschäfte zu straffen, die immerhin 27 Ressorts effektiver zu machen, ist ihm vorerst wichtiger, als ein Volksheld zu sein. Das Wahlergebnis vom Juni vergangenen Jahres, als Mbeki als Spitzenkandidat des ANC mehr Stimmen holen konnte als fünf Jahre zuvor das verehrte Idol Mandela, war ihm wohl Bestätigung genug.

Nach sechs Monaten im Amt fällt das Urteil über die neue Regierung bei vielen positiv aus. Ob Mbekis völlig anderer Stil sichtbare Erfolge bei der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, Aids und Kriminalität haben wird, bleibt abzuwarten. Geliebt wie Mandela wurde und wird der neue Präsident nicht. Daran liegt ihm auch nichts. Mbeki wird geschätzt, allenfalls bewundert und zugleich auch gefürchtet. Der kühle Intellektuelle ist ein Stratege, er ist der Politmanager, nach dem sich viele in Südafrika nach der unruhigen Übergangszeit der 90er-Jahre gesehnt haben. Auch seine gestrige Rede war nüchtern und konzentrierte sich vor allem auf wirtschaftliche und soziale Fragen.

Mbekis Schwerpunkt liegt nicht auf Versöhnung; scharf griff er gestern den noch immer bestehenden weit verbreiteten Rassismus in der Gesellschaft an. Sein Credo beschreibt der schwer übersetzbare englische Begriff delivery. Gemeint ist damit, dass der ANC seine Versprechen von 1994 wahrmacht und die Lebensverhältnisse für die Mehrheit der Bevölkerung spürbar verbessert. In der ersten Legislaturperiode waren davon allenfalls Ansätze zu sehen. Erst einmal mussten die Grundsteine, wie eine demokratische Verfassung, geschaffen werden. Mandela war für die Menschen präsent, in der Regierungsführung aber zögerte er oft.

Mbekis erste Machtprobe war – unausweichlich – ein Arbeitskampf mit dem aufgeblähten öffentlichen Dienst. Er schickte dafür die neue zuständige Ministerin Geraldine Fraser-Moleketi vor. Auch nach einer Welle von Streiks blieb sie hart; ihre Auftritte trugen eindeutig die Handschrift des Unsichtbaren im Hintergrund. Der nimmt auch seine anderen Minister hart an die Kandare und zitiert seine Stäbe schon mal mitternachts zu sich, wenn es nötig ist. Schlendrian will er nicht dulden, und diese Botschaft vermitteln auch die besseren unter seinen Ministern. Als Glücksfall erweist sich beispielsweise Kader Asmal, der neue Bildungsminister, der straff gegen undisziplinierte Lehrer vorgeht.

Dazu tut Mbeki noch etwas, was Mandelas Sache nicht war: Er kritisiert öffentlich und oft mit schneidender Schärfe: Korruption und Diktatoren in Afrika, Verschwendungssucht und Zeitvertrödelung auf sinnlosen Konferenzen, Einparteienstaaten und zuletzt die EU – „Mbeki erwartet von anderen viel“, sagt ein enger Mitarbeiter, „und von sich selbst noch mehr“. Seine geschliffenen Reden schreibt er bis heute am liebsten selbst – ein Albtraum für seine Berater. Zielstrebig hat er das Präsidentenbüro zum eigentlichen Zentrum der Macht ausgebaut und die wichtigsten Schaltstellen in Staat und Verwaltung systematisch mit Leuten seines Vertrauens besetzt. Der Generalstaatsanwalt, der neue Polizeichef, der Chef der Zentralbank, die neuen Herren vieler halbstaatlicher Institutionen – sie alle sind in erster Linie loyale ANC-Politiker. „Der ANC macht systematisch den öffentlichen Dienst zum Parteiinstrument“, kritisiert deshalb der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der Liberale Tony Leon.

Auch in der Außenpolitik hat Mbeki den Schwerpunkt verlagert. War Mandelas Politik noch stark auf Europa und die USA orientiert, konzentriert sich Mbeki auf Afrika und auf strategische Allianzen mit Entwicklungs- und Schwellenländern in anderen Teilen der südlichen Halbkugel. Sein Traum von einer „Afrikanischen Renaissance“ allerdings lässt sich, sollte er überhaupt jemals wahr werden, nur verwirklichen, wenn der Kontinent befriedet wird. Mbeki und seine Außenministerin, Nkosazana Zuma, deren Ernennung die größte Überraschung auf Mbekis Kabinettsliste war, reisen viel durch Afrika und empfangen auch in Pretoria häufig Delegationen aus anderen Teilen des Kontinents. Zumas Bemühungen, als Vermittlerin Frieden im Kongo zu stiften, waren jedoch bislang erfolglos.