Der Universitätsstreik in Mexiko eskaliert

Blutige Straßenschlachten zwischen Studenten und Provokateuren fordern ein Todesopfer und 37 Verletzte.Die meisten Universitätsangehörigen votieren für eine Beendigung des Streiks ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Über neun Monate Hochspannung an der bestreikten Nationaluniversität (UNAM) in Mexiko-Stadt haben sich nun gewaltsam entladen. Die mehrstündigen Straßenschlachten zwischen streikenden Studenten und Streikbrechern forderten am Dienstag ein Todesopfer, 37 Personen wurden verletzt, 250 festgenommen. Die Zusammenstöße und Massenverhaftungen werden von der Tageszeitung La Jornada als Resultat einer „gezielten Provokation“ gewertet. Tatsächlich waren ein Großteil der mit Knüppeln und Steinen bewaffneten Streikbrecher keine ,studierwilligen‘ Kommilitonen, sondern Angestellte einer Art Universitätspolizei und privater Sicherheitsdienste. Aber auch der harte Kern der Streikenden, die seit April 1999 an die vierzig Fachbereiche, Oberschulen und Institute der UNAM besetzt halten, nahm die Eskalation offenbar billigend in Kauf. Die „Ultras“, wie die Streikführer genannt werden, haben bislang wenig Bereitschaft zu einer Lösung des Konflikts gezeigt.

Schon seit Mitte der Achtzigerjahre ist die UNAM, mit über 260.000 StudentInnen die größte Universität Lateinamerikas, umkämpftes Terrain. Mobilisiert wurde gegen erschwerte Zulassungsbedingungen und für studentische Mitbestimmung. Bis zum Frühjahr 1999 war das Hochschulstudium bei einer Gebühr von 20 Centavos (vier Pfennig) faktisch gratis. Als der damalige Rektor Semestergebühren von mindestens 50 Dollar einzuführen beschloss, fühlten sich selbst unpolitische StudentInnen vor den Kopf gestoßen und riefen den uniweiten Streik aus. Dabei ging es weniger um ein paar Pesos, als vielmehr ums Prinzip. „Das Recht auf Bildung“ stehe auf dem Spiel, schrieb der Historiker Adolfo Gilly. Bis zu 100.000 Studierende – mit Unterstützung von Eltern, Professoren, Intellektuellen und unabhängigen Gewerkschaften – beteiligten sich an den Protesten. „Anfangs gab es noch Power und Phantasie“, erinnert sich Marjorie González, eine 25-jährige Biologiestudentin, damals eine der führenden AktivistInnen. „Multidisziplinäre Bildungsbrigaden“ zogen durch die Stadt, veranstalteten Kinderfeste, Striptease-Happenings und demonstrierten allerorten für „freie Bildung“ und universitäre Demokratie.

Die Behörden aber stellten sich stur, die Bewegung radikalisierte sich. Lehrveranstaltungen wurden ausgelagert, es kam zu vereinzelten Zusammenstößen mit Provokateuren und der Polizei. Zwar wurde die neue Gebührenordnung im Juni durch „freiwillige Beiträge“ ersetzt. Das Misstrauen aber blieb bestehen – und die Barrikaden auch. Selbst nach dem Antritt des neuen Rektors, Juan Ramón de la Fuente, der im Unterschied zu seinem Vorgänger als moderater Verhandler galt, scheiterten alle Dialogversuche.

Dabei hat die neue mexikanische Studentenbewegung, die inzwischen auf nicht mehr als 1.000 „Ultras“ zusammengeschrumpft ist, einen bemerkenswerten politischen Erfolg erzielt. Nach dem jüngsten Entwurf des Rektorats, dem vor zwei Wochen per Plebiszit weit über die Hälfte der UNAM-Angehörigen zustimmte, sollen alle Studiengebühren endgültig zurückgenommen werden. Zugleich ist ein Universitätskongress geplant, auf dem eine umfassende Hochschulreform beschlossen werden soll. Beides waren zentrale Punkte des Forderungskatalogs des Streikrats (CGH). Dennoch lehnte dieser das offiziell gesponserte Plebiszit als „betrügerische Farce“ rundherum ab. Nahezu alle namhaften Akademiker kritisieren heute „das Sektierertum“ und den „Autismus“ der militanten Streikenden. Die Gewerkschaften und die links-sozialdemokratische Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gingen auf Distanz.

Andererseits wird vor Provokationen und offiziellen Drohgebärden gewarnt. Die allgemeine Zustimmung zur Reforminitiative des Rektors sei „ein Werkzeug und keine Waffe“, schreibt etwa der Kolumnist der Tageszeitung Reforma. Dialog oder gar Versöhnung sind nach dem Eklat am Dienstag erst recht nicht in Sicht. Der Streikrat hat sich verbarrikadiert und die Freilassung der 248 verhafteten CGH-Mitglieder, denen teilweise Schwerstdelikte wie „kriminelle Vereinigung“, „Sabotage“ und „Terrorismus“ zur Last gelegt werden, zur Vorbedingung für jede weitere Annäherung gemacht. Unterstützung erhielten die „Ultras“ jüngst vom Volksbefreiungsheer (EPR), das sich durch gelegentliche Angriffe auf Polizei und Behörden hervortut. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat dagegen weitere 450 Haftbefehle gegen Streikaktivisten beantragt. Zeitungskolumnisten und erzürnte Professoren wollen die gesamte Uni sogar von der Polizei räumen lassen. Die PRD-Bürgermeisterin Rosario Robles, die selbst von den Streikenden als „Verräterin“ und Komplizin der Regierung attakkiert wird, aber bleibt gelassen: Eine polizeiliche Räumung des Campus, so stellte sie klar, komme für sie „nicht in Frage.“