Zwischen den Rillen
: Orientierung in der Dämmerung

In der neuen Heimat: Alboth! loten die Flexibilität des Rockvokabulars aus

Irgendwann, es muss um das Jahr 1992 gewesen sein, wurde die Schweizer Band Alboth! vom Wind der Geschichte gestreift. Es öffnete sich sozusagen ein schmaler Spalt in den gewohnten Zeitläuften, durch den sie, wie kurz zuvor angeblich die deutsche Einheit, hindurchlugte und plötzlich Konsens wurde. Es war, erinnere ich mich richtig, ein Herbst, auf jeden Fall aber stand die Rockmusik damals im hohen Herbst, die Blätter leuchteten schon längst nicht mehr gülden, vielmehr krochen der Frost namens Post-Rock und die Fäulnis namens Techno die einstmals widerstandsfähigen Wurzeln hoch. Da waren, wie gesagt, Alboth! zur Stelle und boten einen Augenblick lang Orientierung in der klammen Dämmerung.

Sie forcierten die dekonstruktive Geste, die in den Achtzigern von US-Rockbands etabliert worden war, lösten die Formen auf, ihre Stücke waren Aneinanderreihungen von disparaten Stücken und nicht mehr vom Wechsel sich wiederholender Einheiten bestimmt. Die einzelnen Stimmen und Instrumente verbanden sich zu einem undurchsichtigen Konglomerat aus Sound, in dem auch die Gesangsstimme nur noch ein Klangpartikel war, die nichts mehr sprachlich Fassbares mitzuteilen schien. Alles war aber von einer durchaus rockistischen Dynamik von Laut und Leise, von Langsam und Schnellstmöglich geprägt. Der immanente Schönberg wurde von der Doublebass zuschanden geritten. Oder umgekehrt.

So war das, damals im Herbst. Und das entsprechende Album „Liebefeld“ wurde als Meisterwerk, was es noch immer ist, und als notwendige Elaboration des Rockvokabulars gefeiert. Für Letzteres schien sich schon kurz darauf niemand mehr so recht zu interessieren; Alboth! wurde eine Band für Einsiedler, die die Erneuerungsdiskurse, die sich um Leute wie Tortoise oder Aphex Twin zu winden begannen, nicht mehr mitbekommen wollten. So geriet das Quintett, obwohl es an der Qualität seiner Produktionen nichts zu mäkeln gab, mit jedem Album im Lauf der Jahre mehr und mehr ins Abseits. Und die Band selbst schließlich in eine handfeste Krise, aus der sie sich mit ihrer neuen Platte „Ecco La Fiera“ zu befreien sucht. Der Titel des Eingangsstücks „Libeskind“ ist neben der Alboth!-typischen diffusen zeithistorischen Bezugnahme durchaus auch als Anschluss an „Liebefeld“ zu betrachten.

Zwar zum Trio geschrumpft und inzwischen in Berlin ansässig, beackern Alboth! – übrigens der Name eines 1990 ermordeten Schweizer Journalisten – aber noch immer mit derselben Verve und Hartnäckigkeit das von ihnen schon immer bestellte Feld. Die Entwicklung um sie herum bringt jetzt allerdings die Möglichkeit mit sich, dass die von ihnen hereingefahrenen Früchte wieder den Geschmack auch derer jenseits des innersten Alboth!-Fankreises treffen. Denn das von ihnen vertretene Modell Band auch da lebendig zu halten, wo man es musikalisch nicht mehr mitbekommt, ist aktueller denn je. Die Frage, wie sich die durch Techno, Post-Rock, Avantgarde-Crossover erbrachten Errungenschaften der letzten Jahre im Zusammenspiel eines Ensembles umsetzen lassen, scheint für viele MusikerInnen und HörerInnen derzeit äußerst interessant zu sein.

Es macht deshalb nichts, dass die fünf Stücke auf „Ecco La Fiera“ vollständig der bisherigen Alboth!-Ästhetik entsprechen. Der Sänger Daniel Lieder, der Perkussionist Michael Wertmüller, beide aus der bisherigen Besetzung, und Tito (an Gitarre und Elektronik) arbeiten sich durch die argsten Stromschnellen. Lieders Gesang bleibt dabei Sound, genauso wie die Instrumente, von denen keines eine Solorolle zugeteilt bekommt. Einzig in den leiseren Parts tritt ab und an eine Bassgitarre hervor, um sogleich von einem reißenden Strom aus Gitarren, Vibrafon und elektronischem Noise weggespült zu werden. Alboth! huldigen weiter einem Free Rock, dessen In-die-Tage-gekommen-Sein sie mit beeindruckender Beharrlichkeit gerade überwinden. Denn dessen Flexibilität wird ausgelotet.

In „Kirkpinar“ ist eines der seltsamsten Gesangsduette der Musikgeschichte zu hören. Lieder trifft sich hier mit der Sängerin Kim Kavellar auf einer Art Meta-Ebene, von der aus sie die gerade von ihnen umgesetzten Genrekonventionen zu reflektieren und neu zu definieren scheinen. An solchen Stellen blitzen auf „Ecco La Fiera“ Momente auf, von denen man hofft, dass sie von Alboth! in Zukunft Anstoß zu längeren Auseinandersetzungen sein werden. Insbesondere das harte Aufeinandertreffen symbolträchtiger Sounds ist dabei anscheinend dem Neumitglied Tito zu verdanken. Zu den interessantesten Momenten zählen auch die letzten Minuten von „Fleischhauer“ – auch so ein typischer Alboth!-Stücktitel. Nach sieben Minuten beginnt da nämlich ein Outro fein verhallenden elektronischen Dubs. Der könnte aus dem Hause Basic Channel kommen und ist insofern als Gruß an die Szene der neuen Heimat zu werten. Andererseits zeugt er natürlich vom Bewusstsein der Band für die virulenten Sounds zur Zeit. Dass sie es nicht als platte Adaption verstanden wissen wollen, zeigt ihre Geste des Zweifels: Nach zehn Minuten bricht das Stück unvermittelt ab. Das heißt: Eine Tür wurde geöffnet – aber man muss ja nicht durch jede auch hindurchgehen. Martin PeschAlboth!: „Ecco La Fiera“ (What's So Funny/Indigo)