Leben in der ideologischen Säule

Das antiquierte Rundfunkmodell der Niederlande wird nur zaghaft reformiert. Die öffentlich-rechtlichen Sendervereine behalten ihre Macht ■ Von Annette Birschel

Amsterdam (taz) – Die Niederlande wollen wieder einmal ihr öffentlich-rechtliches Rundfunksystem umkrempeln. Vor allem soll Fernsehen endlich übersichtlicher werden. Das jedenfalls sieht das jetzt verabschiedete neue Konzessionsgesetz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor. Die drei öffentlich-rechtlichen TV-Kanäle bekommen zunächst einmal ein deutlicheres Profil: Nederland 1 soll „lebensanschauliche“ Programme für den konservativen Zuschauer ausstrahlen, Nederland 2 den breiten Publikumsgeschmack bedienen und Nederland 3 für Kulturfans und Intellektuelle sorgen.

Konkurrenz der Privaten erzwingt Reformen

Dies ist der soundsovielste Versuch, das antiquierte öffentlich-rechtliche Rundfunksystem zu modernisieren, was angesichts der großen Konkurrenz durch die weit erfolgreicheren Privatsender auch nötig wäre. Denn bisher ist öffentlich-rechtlicher Fernsehgenuss in den Niederlande nur etwas für Eingeweihte: Die Hauptnachrichten laufen mal auf dem ersten, mal auf dem dritten Kanal, Sportfans raufen sich die Haare, wenn nach der Übertragung des Spitzenspiels auf dem einen die Spielauswertung plötzlich auf einem anderen Kanal kommt. Dafür sendet Nederland 1 an manchen Tagen auch schon einmal drei Tierfilme hintereinander.

Grund für diesen Wirrwarr ist das Säulenmodell, nach dem seit Anfang des 20. Jahrhunderts das gesellschaftliche Leben der Niederlande organisiert ist: Danach gründeten Parteien, Kirchen, Gewerkschaften alle möglichen Institutionen des öffentlichen Lebens wie Schulen oder eben auch Radio- und später TV-Sender, um ihren Anhängern von der Wiege bis zur Bahre ein Leben in der ideologischen Säule zu emöglichen.

Bis heute sind alle öffentlich-rechtlichen Sender als Verein organisiert und halten oft noch an ihrer idelogischen Ausrichtung fest, auch wenn sie offiziell längst nicht mehr an bestimmte Parteien oder Konfessionen gebunden sind. Sendezeit und die Höhe der staatlichen Subventionen – seit Januar 2000 sind die Rundfunkgebühren abgeschafft und die Sender werden aus Steuermitteln finanziert – richten sich nach der Mitgliederzahl dieser Sendervereine. Und hatten die großen Sendervereine bisher ihren festen „Hauskanal“, müssen sie sich nach dem neuen Gesetz den neuen Profilen unterordnen und einen Teil ihrer Programme auch auf anderen Kanälen ausstrahlen.

Unübersichtlichkeit bleibt Programm

Es bleibt abzuwarten, ob sich hierdurch ausgerechnet die viel beschworene „Übersichtlichkeit“ des Programmangebots erhöht. Zunächst sind aber fast alle Rundfunkvereine zufrieden mit dem neuen Gesetz – schließlich haben sie ihre Macht weitgehend halten können. Nur dass ab jetzt „Kanalmanager“ und Programmräte künftig bestimmen sollen, was wo läuft, erbost die Sender: Sie fürchteten um ihre bisherige Unabhängigkeit in Sachen Programmierung. Der frühere Arbeiterrundfunk und heutige Volkssender Vara ging soweit, den Austritt aus dem öffentlich-rechtlichen System anzudrohen und samt populären Stars und Sendungen als kommerzieller Sender weiterzumachen. Diese Verhandlungen laufen noch.

Vor allem die ideologischer geprägten Sendervereine wie die konfessionelle Evangelische Omroep (EO) und das katholische Pendant KRO fürchten nicht ganz unberechtigt, dass ihre Minderheitenprogramme künftig auf unatttraktive Sendeplätze geschoben werden. Denn der Aufsichtsrat des Senderverbundes NOS hat für die drei Kanäle Quotenrichtwerte von 13 (Nederland 1), 17 (Nederland 2) bzw. 10 Prozent (Nederland 3) vorgegeben. Zum Schutz der Minderheitenprogramme verabschiedete daher das Parlament noch eine Eklärung, nach der Einschaltquoten nicht zum alleinigen Maßstab der Programmierung werden dürfen. Wie viel die schönen Worte wert sind, zeigt sich spätestens beim ersten Konflikt um die besten Sendeplätze.

Für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem insgesamt ändert sich aber wenig: Das überholte Säulenmodell bleibt, eine schlagkräftige Antwort auf den Vormarsch der Privaten wurde nicht gefunden.