Nazipropaganda an symbolträchtigem Ort

■ Rund 500 Neonazis ziehen Fahnen schwenkend durch das Brandenburger Tor. Oberverwaltungsgericht hatte das polizeiliche Verbot des Aufmarsches aufgehoben. Linke Gegendemonstranten unternehmen Blockadeversuch

Die Neonazis der „Berliner Republik“ haben die Hauptstadt als Aufmarschgebiet entdeckt. Rund 500 Anhänger der rechtsextremen Szene zogen am Samstag mit Reichskriegsfahnen und antisemitischen Parolen durch Mitte.

Aus dem gesamten Bundesgebiet waren die Teilnehmer angereist, um gegen die geplante Gedenkstätte für die von Nazis ermordeten Juden zu protestieren. Begleitet wurde der Aufmarsch von einem Großaufgebot der Polizei und protestierenden Antifagruppen, die durch eine Straßenblockade verhindern wollten, dass die Neonazis am Bauplatz des Holocaust-Mahnmals vorbeiziehen.

Vergeblich – die überwiegend kurzhaarigen und schwarz uniformierten Rechtsextremisten marschierten triumphierend und Fahnen schwenkend zum nur durch eine Hundestaffel der Polizei abgesicherten Mahnmal-Gelände, wo sie ihrem antisemitischen Gedankengut in Sprechchören freien Lauf ließen und den Holocaust leugneten. Dann durchschritten sie nicht minder laut brüllend mit stolz geschwellter Brust das Brandenburger Tor – seit 1945 hatte es das nicht mehr gegeben.

Bisher waren Versuche von Rechtsextremen, das symbolträchtige Tor als Platz für ihre Propaganda zu nutzen, verboten oder von Anhängern der linken Szene verhindert worden. Mehr als 50 Anhänger hatten die Neonazi bis zum Samstag nicht zu einer Veranstaltung in die Mitte Berlins mobilisieren können. Selbst der Veranstalter hatte die erwartete Teilnehmerzahl mit 300 angegeben.

Gegen den Nazi-Aufmarsch waren am Vormittag knapp 700 jugendliche Teilnehmer einer Demonstration „gegen die antisemitische Normalität“ durch den strömenden Regen in die Nähe des S-Bahnhofs Friedrichstraße gezogen. Durch riesige Absperrgitter versperrte die Polizei ihnen jedoch den Weg zum Aufmarschpunkt der Rechtsextremen.

Dort hatten sich die ersten Neonazis schon gesammelt, wartend auf ihre Kameraden, die mit der S-Bahn anrollten. Reisebusse und Autos, mit denen sie überwiegend aus der nördlichen Hälfte der Bundesrepublik gekommen waren, hatten sie vorsichtshalber woanders abgestellt. Während die Antifa buchstäblich im Regen stand, formierten die Rechtsextremen ihren Zug im Bahnhofsgebäude, argwöhnisch beobachtet von Passanten. „So viel Abschaum auf einmal haben wir selten gesehen“, ereiferte sich ein junges Pärchen und verzichtete ob der unberechenbaren Berlinbesucher auf den geplanten Einkaufsbummel durch die Friedrichstraße. Eine Reaktion, wie sie am Rande des Aufmarsch häufiger zu beobachten war: Die meisten Passanten schüttelten fassungslos den Kopf. „Vor 1933 hat es auch so angefangen“, sagte eine ältere Frau. Und der weißhaarige Mann an ihrer Seite forderte: „Demonstrationsfreiheit hin oder her – dieses gespenstische Treiben darf nicht geduldet werden.“

Die Gegendemonstranten versuchten von zwei Kundgebungsorten am Rande der Marschroute der Rechtsextremen aus immer wieder, an den Aufzug heranzukommen, und lieferten sich dabei ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Laut einem Polizeisprecher wurden auf beiden Seiten 66 Personen festgenommen.

Die PDS-Vorsitzende Petra Pau bezeichnete den Marsch der Rechtsextremen durch das Brandenburger Tor gestern als „alarmierenden Tabubruch“. Auch Nora Bergmann von der Antifaschistischen Aktion Berlin nannte es ein „eindeutiges politisches Signal“, dass der Aufmarsch stattfinden konnte. Der offensichtliche Widerwillen des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) gegen das Mahnmal sei ebenfalls ein Zeichen „für den antisemitischen Normalzustand“.

Der Staatsschutz hatte den Aufmarsch am Freitag verboten. Innensenator Eckart Werthebach (CDU) war nach Angaben einer Sprecherin vor der Entscheidung informiert worden und habe auch die Verbotsbegründung gelesen. Weder das Verwaltungs- noch das Oberverwaltungsgericht akzeptierten die Argumentation, der Aufmarsch gegen das Mahnmal diene als Ersatz für eine in Göttingen verbotenen Demonstration der NPD und werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unfriedlichen Verlauf nehmen“.

Viel Mühe hatten sich die Beamten beim Verbot offenbar nicht gegeben. Die Neonazis riefen ihre Anhänger vor der richterlichen Entscheidung siegesgewiss nach Berlin. Die Begründung umfasse nur eine halbe Seite, hieß es, und sei „so lächerlich“, dass sie keinem Einspruch standhalte.

Dirk Hempel