„Hmmmmm, de Lekkerste!“

■ Die staatsgeheime Kunst, heimlich an ein „Ä“ zu denken: Ein Reisebericht aus der schönsten Großstadt in Bremens Nachbarschaft namens CHrrrooningen

Gleich hinter dem Emstunnel (jo ho, den gibt es!) wird alles anders. Das Land ist flacher, das Wasser nasser, der Wind stärker, und der Regen plätschert den BesucherInnen waagerecht ins Gesicht. Die Ems ist bekanntermaßen eine Wettergrenze. Aber nicht nur. Der Fluss ist vielmehr auch eine kulturelle, geographische und geologische, vermutlich auch ökonomische sowie genealogische und auf jeden Fall auch eine linguistische Grenze. Seit dem Schengener Abkommen wird diese Linie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Niederlande zwar nicht mehr durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung geehrt. Trotzdem werden gleich nach der Überquerung Veränderungen sichtbar: Es sind drei Buchstaben, die zusammen ein Wort bilden, und dieses Wort heißt „UIT“.

Die hinter der Ems wohnenden und NiederländerInnen genannten Menschen verdanken dem Wort „UIT“ ihr Leben. Wer nicht hinter der Ems wohnt, hat große Schwierigkeiten, „UIT“ uitzusprechen. Die NiederländerInnen bilden dafür erst ein „Ö“ und dann „Ü“ und entlassen es mit einem „T“ uit dem Mund in ihr Königreich. Doch damit ist es nicht getan. Während sie das „Ö“ und das „Ü“ in ihrem Gaumen formen, denken sie an ein „Ä“. Diesen Trick hüten sie wie ein Staatsgeheimnis, denn er hat sie zu dem gemacht, was sie sind.

Früher nämlich verlief die Nordseeküste viel weiter südlich als heute – so ungefähr an der Nordseite der Pyrenäen. Doch eines Tages haben sich die NiederländerInnen an den Strand gestellt und zum Meer gesagt „UIT“, und das Meer war so erschrocken, dass es sich sofort zurückzog. So kamen die NiederländerInnen zu ihrem Land, das sie sofort durch Deiche und Grachten schützten für den Fall, dass es sich das Meer noch einmal anders überlegt. Auch zu den SpanierInnen, die daraufhin über das Land herrschten, weil das Volk mit dem Anlegen von Deichen und Grachten beschäftigt war, sagten die NiederländerInnen eines Tages „UIT“, und auch die SpanierInnen waren so erschrocken, dass sie sich hinter die Pyrenäen zurückzogen. Das zäpfchenkitzelnde rachig-kehlige „CH“ und das gerollte „R“ in der Sprache der NiederländerInnen erinnert noch heute daran.

Eine Reise in die Niederlande ist selbst aus Richtung Ostfriesland wie ein Abstieg aus dem Gebirge in die Ebene. Das Wasser in den Kanälen fließt oberhalb von Straßen und Feldern. Und Hinweisschilder mit dem Wort „UIT“ sorgen dafür, dass es so bleibt. Mitten in dieser Ebene liegt die Stadt CHrrrooningen. Sie ist die nördlichs-te CHrrrooßstadt des Landes und die einzige und folglich auch schönste der Region. In CHrrrooningen gibt es auf der Autobahn Ampeln und ein Museum, das im Wasser schwimmt. Ein Italiener hat am Bau mitgewirkt. Überhaupt stammen alle Neubauten von italienischen Architekten, denn vor den anderen NiederländerInnen haben besonders die CHrrrooningerInnen ein Faible für alles Italienische, weil früher auch Teile Italiens von den SpanierInnen berherrscht wurden, bis die ItalienerInnen ihnen sagten „VIA“, was so viel heißt wie „UIT“.

Die Menschen aus CHrrrooningen ernähren sich – außer von Lakritzen – von gerolltem Gulasch in Pannade, das sie für 2,25 Gulden (ungefähr zwei Mark) aus einem Automaten ziehen, in dem auch Cheeseburger oder gerolltes Bami Goreng erhältlich sind. Sie sagen „Hmmm, de Leckerste“ zu gerolltem Gulasch in Pannade. Neuerdings gibt es auch Falafel Pita, die auf israelische Art zubereitet wird: Man häuft sich Salat nach Wahl auf das Falafelbrötchen und übergießt das Ganze mit einer Kräutersauce, die penetrant nach Liebstöckel, Pfefferminze und möglicherweise Kerbel schmeckt. Außerdem erwähnenswert: Patat frites speciaal mit Ketchup, Mayonaise und Zwiebelstückchen sowie Patat frites met Saté Saus (Erdnusssauce), die von kleinen Asiaten zubereitet werden.

Alle NiederländerInnen und folglich auch die CHrrrooningerInnen sind kulinarisch aufgeschlossene Menschen. Deshalb gibt es bei der Supermarktkette „Albert Hijn“ ganz viele asiatische Lebensmittel und ein CHrrraatis-Heft namens „Aller Hande“ mit Rezepten, die verraten, was man damit macht. Fast chrrraatis sind auch Lederjacken, weshalb CHrrrooningen gern von Deutschen besucht wird. Besonders Menschen aus Oldenburg und Bremen fahren gern nach CHrrrooningen. Nach einer Untersuchung liegt Bremen nach absoluten Zahlen an der Spitze, was mit der calvinistischen Vergangenheit zu tun hat, die Bremen und die Niederlande verbindet. Aus dieser Tradtition stammt auch das Bonussystem, das in CHrrrooningen sehr ausgeprägt ist: Wer eine Konzertkarte kauft, erwirbt damit Flugmeilen. Wer ein Flugticket kauft, erhält ein ermäßigtes Ticket im Parkhaus des „Holland Casinos“. Und wer im Spielcasino-Parkhaus parkt, hat es nicht mehr weit zur Lieblingsbeschäftigung der CHrrrooningerInnen.

Die CHrrrooningerInnen sind nämlich leidenschaftliche Spieler und ohnehin sehr leidenschaftliche Menschen. Früher einmal waren sie sehr fromm, weil sie dachten, dass Gott und nicht das Wort „UIT“ das Meer zurückgehalten hat. Heute nutzen sie leerstehende Kirchen als Supermärkte oder Konferenzzentren und bauen konfessionelle Hospize aus der Zeit der spanischen Herrschaft in Altenwohnungen um. Zum Ärger der Stadtväter ziehen die Alten aber nicht in diese Altenwohnungen, weil sie ihnen zu ruhig sind. Am liebsten würden sie im Spielcasino wohnen, wo sie ihre Tage und Abende verbringen und wo es überhaupt nicht ruhig ist.

CHrrrooningerInnen spielen gern an Automaten (elektromagnetisches Pferderennen, elektromagnetisches Roulette) und noch lieber um viel Geld. Nach der so genannten CHrrrooninger Methode setzt man gleichzeitig beim Black Jack und beim Roulette jeweils 1.000 Gulden (ungefähr 950 Mark). Erst das gibt den richtigen Nervenkitzel, der nach den Untersuchungen eines berühmten CHrrrooninger Psychoanalytikers eine Kompensation für das verschwundene Gefühl ist, hinter unsicheren Deichen zu leben. Die Deiche und das dazugehörige CHrrraachtensystem sind nämlich inzwischen so sicher, dass viele CHrrrooningerInnen als Deich- und CHrrraachtenbaumeisterInnen in alle Welt zogen und von ihren Reisen Gewürze mitbrachten, die „Albert Hijn“ dann ins Sortiment aufgenommen hat.

Aus dieser Zeit stammt der Martiniturm, von dessen Spitze aus die Mütter der Stadtväter nach den in den Ferne gezogenen Deich- und CHrrraachtenbaumeisterInnen Ausschau hielten. Der Martiniturm ist deshalb das Wahrzeichen der Stadt, die auch als Fahrradstadt, Unistadt, Coffee-shopstadt oder jüngste Stadt der Niederlande gilt, weil unendlich viele junge Menschen an der CHrrrooninger Universität studieren, in den Pausen mit dem Rad durch die Stadt zum nächsten Coffeeshop fahren und dort einen Joint rauchen. Für NichtraucherInnen gibt es den Martiniturm auch als Miniatur aus Lakritze. Das ist ein schönes Mitbringsel. Denn mit einem Martiniturm im Mund kann man gut das Wort „UIT“ sprechen üben. Und wer „UIT“ uitsprechen kann, darf auch mal über den Deich gucken.

Christoph Köster