„Es gab eindeutige Analogien“

■ Volker Schlöndorffs RAF-Aussteiger-Drama „Die Ruhe nach dem Schuss“ wird auf der Berlinale zu sehen sein. Inge Vietts Autobiografie schien zunächst für seine Pläne ideal. Doch zwischen Drehbuchautor, Regisseur und real existierender Protagonistin kam es zu keiner Einigung

taz: Frau Viett, 1996 wurde Ihre Autobiografie bei der Edition Nautilus veröffentlicht. Wie gestaltete sich denn nun die Vorgeschichte der Zusammenarbeit mit Kohlhaase und Schlöndorff?

Inge Viett: Als ich 1993 noch im Gefängnis saß, hat sich Herr Kohlhaase an mich gewandt, hat mich mehrfach besucht und befragt zu meinen Erlebnissen. Es war sehr schön, mit ihm zu reden. Kohlhaase ist ein sprühender Mann, voller Anekdoten und Bilder. Ich wusste sofort, dass ein solcher Mann sensibel auf unsere Schicksale und ihre Umstände reagieren kann.

Ging es in diesem Gesprächsstadium eher um die allgemeine psychologische Situation des Fremdseins in völlig ungewohnter Umgebung oder um ihren konkreten biografischen Fall?

Mich hat der Stoff damals sehr interessiert, weil es gar nicht so sehr um mich persönlich ging, sondern eher um eine Kunstfigur, die sich zusammengesetzt hat aus den Leben all derer, die damals in die DDR gekommen waren. Kohlhaase war aber wenig später dann sehr daran interessiert, mit mir an diesem konkreten Drehbuch zusammenzuarbeiten. Als ich die erste Fassung für Schlöndorff gelesen hatte, habe ich gleich gesagt, dass mir das so nicht gefällt und ich nichts damit zu tun haben will. Herr Kohlhaase hat sich zwar weiterhin um meine Mitarbeit bemüht, aber ich habe gespürt, dass alles, was ich zu diesem Buch gesagt hätte, als Einverständnis ausgelegt worden wäre. Den gesamten Grundtenor des Films habe ich als falsch empfunden – und der hätte sich durch meine Einwände nicht mehr geändert.

Dennoch hat Schlöndorff sich für seinen Film weiterhin an Ihrer Biografie orientiert?

Es gab noch in der letzten Drehbuchfassung ganz eindeutige Analogien. Er hat in einem Interview auch deutlich geäußert, dass es ohne meine Autobiografie den Film nicht geben würde. Ursprünglich wollte er von mir nur die Verfilmungsrechte für den DDR-Teil, also ab Kapitel 15. So etwas kam für mich natürlich erst recht nicht in Frage. Meine Absage hat er zunächst hingenommen, aber in persönlichen Briefen sanft darauf gedrängt, doch noch zuzustimmen. So nach dem Motto, er sei ja auch einer von uns, ein alter 68er usw. Wir sind dann ohne Klärung auseinander gegangen: Ich bin nach Kuba gefahren, und er hat die Dreharbeiten vorbereitet. 1999 haben wir uns noch einmal getroffen in Babelsberg: Schlöndorff, Kohlhaase und ich, und wir haben uns mit meiner erneuten Absage getrennt. Natürlich ging es da auch um finanzielle Fragen; nicht um einen Beratervertrag, eher um eine Abfindung dafür, dass ich mein biografisches Material zur Verfügung stelle. Diese Verhandlungen habe ich schnell abgebrochen, weil ich das gesamte Gebaren von Schlöndorff und seinen Justiziaren als würdelos empfunden habe. Ich sollte eine Art Schweigegeld bekommen und damit jedes Recht auf Mitsprache verlieren. Was mich besonders gestört hat, war auch diese Art und Weise der Gesprächsführung: Es wurde so getan, als hätten sie das alles eigentlich nicht nötig und als würden sie mir ein entgegenkommendes Geschenk machen, mit dem ich noch gut bedient wäre. Vor allem wollte ich mir mit dem Geld nicht meinen Mund verbieten lassen.

Es könnte dennoch sein, dass im Film dann die Veränderungen so geschickt getroffen werden, dass man Ihr Buch als Vorlage nicht mehr nachweisen kann. Aus ihrem Aufenthaltsort Dresden wird Thüringen, aus Ihrer erkennungsdienstlich erfassten Narbe am Finger wird eine am Arm usw.

Kann ich mir nicht vorstellen. In der letzten Fassung waren die Bezüge zu fundamental, da müsste man ja das ganze Buch umschreiben. Also angefangen von kleinen lesbischen Geschichten, die mich nun einmal kennzeichnen, bis hin zu wörtlichen Zitaten aus meinem Buch. Ich habe ja gar nichts dagegen, dass Schlöndorff seinen Film zu diesem Thema macht – nur darf er sich dann nicht so deutlich an meinen Lebensstationen entlanghangeln. Die wenigen Szenen, die ich gesehen habe von seinem Film, waren gekennzeichnet von einem typisch verachtenden Blick auf die DDR. Und das ist wirklich nicht mein Blick, das kann ich einfach nicht akzeptieren.

Um von Schlöndorffs Film ein wenig abzukommen: Ihr Bild von der DDR entbehrt nicht der Idealisierung. Dabei muss Ihnen dieses Land nach den Erfahrungen in der Bundesrepublik, Paris und dem Nahen Osten doch wie ein fremder Planet vorgekommen sein. Glauben Sie nicht, dass Sie mit Ihrem elementar widerständigen Geist die DDR ganz anders sehen würden, wenn Sie in ihr aufgewachsen wären?

Weiß man es? Ich weiß, dass es die DDR auch anders gab, als ich sie empfunden habe. Aber eben auch. Für mich waren ganz spezielle Dinge in der DDR interessant, z. B. ein bestimmtes kollektives Verhalten, was es im Westen einfach nicht gab. Die Leute im Osten selbst haben das als solches gar nicht wahrgenommen, aber ich schon. Tragisch war natürlich auch das Beharren der Aufbaugeneration auf ihren Überzeugungen und Errungenschaften bzw. dass es da überhaupt keine Bewegung mehr gab. Wenn solch eine Schicht ihr ganzes Leben lang an der Macht ist, entwickelt sich einfach nichts mehr weiter. Die hatten ja nur noch mit der Behauptung dessen zu tun, was sie einst erkämpft hatten.

Wie gestaltete sich Ihr Verhältnis zur DKP?

Wir haben uns gegenüber der DKP eher neutral verhalten, haben ihre Vergangenheit als Partei der Arbeiterklasse aber durchaus geschätzt. Andererseits wurden wir von denen ständig denunziert – jetzt entschuldigen sie sich übrigens dafür. Aber auch zwischen RAF und „Bewegung 2. Juni“ gab es ja riesige Differenzen.

Was halten Sie eigentlich von der schlimmstmöglichen Verschwörungstheorie, Verfassungsschutz und Staatssicherheit hätten auch während der Zweistaatlichkeit eng zusammengearbeitet? Sie wären sozusagen mit Wissen der Bundesrepublik in der DDR kaltgestellt worden?

Ja, diese Theorie taucht immer mal wieder auf. Ich halte das für absoluten Blödsinn. Natürlich hat es sofort 1989, als der Verfassungsschutz, BND und BKA als erste ihre Füße in der DDR hatten, sehr viele Überläufer gegeben. Aber vorher doch nicht! Was mich so sicher macht, ist die Art und Weise, wie Erich Honecker zu Boden geworfen, gedemütigt und denunziert wurde. Er hatte doch in dieser Phase nichts mehr zu verlieren und hätte alles ans Licht bringen können.

In Ihrem Buch wird die Erosion der militanten westlichen Linken sehr greifbar. Noch bevor Sie in der DDR untertauchten, hatte sich die Szene faktisch schon aufgelöst. Wie empfinden Sie denn heute das Abdriften einiger führender Köpfe der 68er-Bewegung zu Nationalismus und Esoterik, Stichwort: Mahler, Rabehl, Langhans oder Oberlercher?

Da kann man fast gar nichts dazu sagen. Ich empfinde diese Entwicklung als grotesk, aber durchaus auch als gefährlich. Das sind Leute, die mal das große Wort geführt haben und jetzt aus ihrer Ratlosigkeit heraus nach Rechtfertigungen suchen. Langhans z. B. war schon damals eine reine Medienfigur und als solche wird er jetzt wieder hochgeholt. Mit Mahler verhält es sich schon etwas komplizierter.

Mahler sollte 1975 im Rahmen der Peter-Lorenz-Entführung durch die „Bewegung 2. Juni“ freigepresst werden, er wollte aber nicht raus. Was war da los?

Ja, das war etwas peinlich. Uns war draußen im Untergrund nicht aufgefallen, dass sich Mahler schon in eine etwas merkwürdige Richtung entwickelt hatte. Aber noch peinlicher wäre es gewesen, wenn er sich mit hätte ausfliegen lassen. Was hätten wir denn mit dem in der Illegalität anfangen sollen? Interview: Claus Löser