Abschied vom Indianerbischof

Heute beginnen im mexikanischen Chiapas die Feierlichkeiten für Bischof Samuel Ruiz. Der renommierte Befreiungstheologe setzt sich nach 40 Jahren zur Ruhe. Er hinterlässt eine Gemeinde im Konflikt ■ Aus Mexiko Stadt Anne Huffschmid

Bäume sterben nicht in einem Winter“, sagt der Bischof und schaut hinter den dicken Gläsern ins Auditorium, „und die Diözese ist vorbereitet auf einen Winter.“ Damit meint Samuel Ruiz nicht die kalten Nächte im Hochland von Chiapas, dem Sitz seiner Diözese von San Cristóbal de las Casas. Nein, politisch droht es dort deutlich kälter zu werden.

Dass der Tatic, wie die Tzeltal-Indianer ihren hoch verehrten Bischof nennen, sich zu seinem 75-jährigen Geburtstag von der Gemeinde verabschieden würde, war seit langem bekannt. Überraschend kam kurz vor Jahresende die Versetzung des Koadjudators Raúl Vera, der als Ruiz’ sicherer Nachfolger galt, in den fernen Norden Mexikos.

Vera war dem Bischof im Oktober 1995 von Rom als Koadjudator an die Seite gestellt worden. Der 20 Jahre jüngere Dominikaner sollte Don Samuel, der sich bei Konservativen in Klerus und Regierung schon lange unbeliebt gemacht hatte, auf die Finger schauen. Doch binnen kürzester Zeit begann Vera – oft in schärferem Ton als der diplomatische Ruiz – Behörden und Regierung für ihre Unterstützung der Paramilitärs und ihren fehlenden Reformwillen zu kritisieren, Militarisierung und die „Vernichtungsstrategie“ gegen die Indios anzuprangern. Beobachter deuten seine Versetzung als Resultat einer geheimen Absprache zwischen Vatikan und mexikanischer Regierung.

Als „verfolgt und angefeindet“ bezeichnete Vera die Diozöse von San Cristóbal, deren Einzugsgebiet fast die Hälfte des Bundesstaats umfasst. Die pastorale Arbeit des Bischofs Ruiz hat das Gefüge aus Kazikentum und Rassismus, aus der Herrenmenschenmentalität der Finca-Besitzer und den Machtkalkülen der Regierungspartei ins Wanken gebracht.

Trotz Elend und Repression, Spaltung und Brutalisierung des Alltags in den Indio-Dörfern, so erinnert sich Vera, war er bei seiner Ankunft vor vier Jahren mit den Worten empfangen worden: „Du kommst ins Paradies.“ Verzückt äußert sich der Geistliche über das indianische Chiapas. „Wir glauben immer, dass die Indios, um angehört zu werden, so sein müssen wie wir“, sagt Vera heute selbstkritisch, „deshalb ist es sehr interessant an einen Ort zu gelangen, wo man selbst wie sie sein muss, um gehört zu werden.“

Ähnlich dürfte es Samuel Ruiz vor vierzig Jahren ergangen sein, als er am 25. Januar 1960 sein Amt in dem malerischen Hochlandstädtchen antrat. Der junge Bischof hatte sich zunächst vorgenommen, den armen Indios in klassisch christlicher Mission „die spanische Sprache und Schuhe zu bringen“ – nicht zuletzt, um sie vor den Versuchungen kommunistischer Aufrüherer zu bewahren.

Diese Sicht sollte sich grundlegend ändern: zum einen durch den Kontakt mit der Welt und Wirklichkeit der Maya-Völker, zum anderen durch den theologischen Zeitgeist der Sechzigerjahre, der sowohl durch das Zweite Konzil von Rom (1962 bis 1965) und dessen Entdeckung der Armen und der nicht westlichen Kulturen, wie auch durch die Konferenz von Medellín (1968), als Wiege der Befreiungstheologie, geprägt war.

Schon bald profilierte sich Ruiz als eine der Leitfiguren im Erneuerungsprozess der lateinamerikanischen Kirche. Dabei ging es ihm – im Unterschied zur klassischen Befreiungstheologie – nicht nur um die Armen, sondern um die ethnisch Anderen. So enwickelte er das interkulturelle Konzept einer „autochtonen Kirche“, das sich auf die „Einbettung des Evangeliums in den überlieferten Maya-Kulturen“ gründet.

Dazu wurde die hierarchische Struktur der Diözese zunächst dezentralisiert und von Basisgemeinden abgelöst. Zweifellos hat diese Bewusstseinsarbeit im Hochland und den lacandonischen Wäldern dazu beigetragen, dass manche Indigene die gepredigte Befreiung nicht mehr nur per Gebet, sondern mit weltlichen Mitteln erreichen wollen und sich der Zapatistenguerilla anschlossen. Und dass er im Bilde war, was sich in seinen Gemeinden über die Jahre zusammenbraute, daraus hat Ruiz nie einen Hehl gemacht. Aber „der Bischof ist Pastor und kein Spitzel“, sagte er einmal. Ein Verfechter einer „Theologie der Gewalt“, wie ihn Präsident Zedillo einmal genannt hatte, ist er allerdings nie gewesen. Immer wieder betonte er die Unvereinbarkeit von pastoraler Arbeit und bewaffnetem Kampf.

Weltbekannt geworden ist Ruiz vor allem dadurch, dass er – bis zu seinem Rücktritt im Juni 1998 – als formaler Vermittler zwischen Regierung und Rebellen fungierte. Dabei war er, wie offizielle Stellen ihm immer wieder vorhielten, tatsächlich alles andere als unparteiisch. Angesichts von Unrecht, so argumentierte er, könne und dürfe kein Mensch „neutral“ bleiben. Vielmehr wurde der Bischof zu so etwas wie einem Schutzschild und zugleich zu einer Art Scharnier der aufständischen Indios im Kontakt mit Außenwelt.

Was denn nun mit den indigenen Gemeinden geschehen werde, jetzt, wo sie auf einen Schlag ihrer beiden Tatics beraubt sind, wollen Reporter wissen. Don Samuel wird sichtlich ungeduldig. Darum sei es ja gerade gegangen, antwortet er unwirsch, dass die Indios endlich Subjekte ihrer eigenen Geschichte werden.