Neues Land für schwimmende Häuser

■ Tagebau wird Freizeitsee: Die Lausitz will als Wirtschafts- und Touristenmagnet Anschluss ans neue Jahrtausend finden. Deshalb führt die Region nun auf der mit 5.000 Quadratkilometern größten Landschaftsbaustelle in Europa eine Internationale Bauausstellung durch

Dieses Loch hat es in sich. 80 Meter tief, 2 Kilometer lang und 600 Meter breit erstreckt sich der ehemalige Tagebau Klettwitz-Nord. Vom Grund dieses Kraters ragt ein Koloss aus 13.500 Tonnen Stahl bis zu 74 Metern in die Höhe. Die Abraumförderbrücke vom Typ F 60 ist mit über 500 Metern Länge die größte der Welt und sollte eigentlich längst gesprengt und verschrottet sein.

Nun hat die F 60 eine Zukunft. Im nächsten Jahr wird sie über eine Rampe an den Rand des Tagebaurestlochs gefahren und als Projekt der Internationalen Bauausstellung „Fürst-Pückler-Land“ zu einer begehbaren Touristenattraktion mit Aussichtsplattform umgebaut. Es wird zehn Jahre dauern, das riesige Loch darunter mit Wasser zu füllen. Dann kann der Besucher hoch über dem zukünftigen „Bergheider See“ eine neu gestaltete Bergbaufolgelandschaft mit einem dichten Netz aus Rad-, Wander-, Reit-, Kutsch- und Wasserwegen zu seinen Füßen bestaunen.

Zukunftsmusik. Aber sie klingt gut, findet Professor Rolf Kuhn, Geschäftsführer der IBA-Vorbereitungsgesellschaft und früherer Leiter des Bauhaus Dessau. Die Lausitz soll mit der IBA einen kräftigen Impuls erhalten. Für Kuhn liegt in der völligen Neugestaltung von 5.000 Quadratkilometern Landschaft die einmalige Möglichkeit, eine ganze Region für die Zukunft zu motivieren und ihr mit neuem Image zu mehr Attraktivität zu verhelfen. „Wir wollen mit den Leuten vor Ort ungewöhnliche Landschaften diskutieren, an die sie selbst gar nicht gedacht haben. Sie werden wirtschaftlich in der Zukunft nur eine Chance mit einer ungewöhnlichen Landschaft haben, deren Anziehungskraft bis nach Berlin und Dresden reicht.“ Kuhn spricht sich gegen eine völlig zu schaffende Naturlandschaft aus. Für ihn ist eine der üblichen nachgemachten Naturlandschaften immer schlechter als eine wirkliche: „Damit hätte die Lausitz überhaupt keine Chance.“

Viel mehr ist der Faktor Zeit das größte Problem. „Drei Monate hat man uns gegeben, um für die F 60 ein Alternativkonzept zu entwickeln. Es hat zwar funktioniert, aber auch an vielen anderen Stellen sieht es ähnlich aus. Es war fünf Minuten nach zwölf. Wir haben die Uhr noch einmal zurückdrehen können.“ Zeit, die ihm die Mitteldeutsche Braunkohlenverwaltungsgesellschaft (LMBV) eingeräumt hat. Die LMBV ist als Eigentümerin für die Rekultivierung der gesamten ehemaligen Tagebauflächen und die Entsorgung der nicht mehr benötigten Maschinen in Ostdeutschland verantwortlich. Nicht immer reicht die Zeit, um Alternativkonzepte auszuarbeiten, denn die bergbaulichen Sanierungsmaßnahmen laufen auf Hochtouren. Auch für die Lausitz liegen bereits die fertigen Sanierungspläne der Tagebaurestflächen in den Schubladen der LMBV. „Wir sind schon sehr weit“, bestätigt ihr Sprecher Volker Krause. „Der Handlungsspielraum ist nicht mehr allzu groß. Die neuen Landschaften sind im Prinzip schon da. Die Formen der Restseen, das ist schon Geschichte. Jetzt kann man nur noch bestimmte Projekte in diesen Landschaften verwirklichen.“

Für Kuhn hätte man deshalb besser schon vor fünf Jahren mit der IBA begonnen. „Aber wir müssen die Dinge so nehmen, wie sie sind. Es gibt immer noch unheimlich viel zu gestalten und zu verbessern.“ Er sieht zum Beispiel durchaus Chancen für die Rettung und Inszenierung weiterer ehemals bergbaulich genutzter Großgeräte. Kuhn setzt sich zudem für den Erhalt und die sinnvolle Folgenutzung von architektonischen Relikten aus der Bergbaublütezeit wie die stillgelegte Brikettfabrik und das brachliegende Kokereigelände in Lauchhammer ein. Auf keinen Fall sollen alle Zeugnisse der Vergangenheit getilgt werden: „Sonst verlieren die Leute ihre Wurzeln, ihre Geschichte, und das war noch nie gut. Wenn man mit den Menschen spricht, dann spürt man einfach, dass sie von dieser Braunkohlen- und Energieindustrie geprägt sind. Sie wollen nicht mehr zurück zu einem Feuchtwiesengebiet.“

Bergbau in der Lausitz – über 200 Jahre lang haben die Menschen die Kohle aus der Erde gekratzt und gut davon gelebt. Die Hälfte der heutigen Bevölkerung ist wegen der Arbeit hierher gezogen. Zu DDR-Zeiten war die Lausitz der größte Energielieferant des Landes. Die Wende brachte das Aus. Über Nacht verschwanden 105.000 Arbeitsplätze. Geblieben sind klaffende Löcher in einer aufgewühlten Landschaft und Erinnerungen an Dörfer, die der Tagebau gleich dutzendweise verschlungen hat. Heute herrscht Ruhe in der Lausitz – und Arbeitslosigkeit.

Die Hoffnungen und das Vertrauen in die IBA als Motor für einen wirtschaftlichen Neuanfang sind deshalb mindestens genauso groß wie der Planungsdruck, der auf der Landschaft liegt. Hoffnungen, die gerade hinsichtlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht immer erfüllbar sein werden. Immer wieder muss Kuhn klarstellen, dass „eine Internationale Bauausstellung eine Gestaltungsaufgabe und keine Wirtschaftsförderaufgabe“ ist. „Wir sollten aus einer Diskussion, in der es um Landschaft geht, nicht eine um die Wirtschaft machen. Sonst wird es kleinkariert“, wünscht er sich mit Blick auf seine Projekte. Er will mit seiner Arbeit in den nächsten zehn Jahren Menschen für eine neue und einmalige Landschaft begeistern. Den Erfolg seiner Arbeit sieht der IBA-Geschäftsführer eher als Basis für den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung in der Lausitz. „Ich denke, Wirtschaft wird von Menschen für Menschen gemacht. Eine Landschaft, die Menschen anzieht, zieht darum automatisch Wirtschaftskraft nach sich.“

Von den goldenen Zeiten des Bergbaus sind nur noch drei aktive Tagebaue geblieben, der Rest muss laut Einigungsvertrag rekultiviert werden. Bei Gesprächen über mögliche Folgenutzungen reparierter Landschaftsteile sitzt Kuhn mit am Tisch. An einer Zusammenarbeit mit der Mitteldeutschen Braunkohlenverwaltungsgesellschaft kommt er nicht vorbei. Ihm ist klar, „ohne die Sanierungsmaßnahmen der LMBV wäre eine Bauausstellung gar nicht möglich“. Trotzdem ist es für ihn wichtig, „dass nicht alles so bleibt, wie es schon geplant ist. Sonst bräuchte man ja keine IBA zu machen“. Dass die Zusammenarbeit Früchte trägt, zeigt sich schon darin, dass die Planer der LMBV nicht mehr „Grube für Grube“ denken. Die Lausitz wurde stattdessen für eine möglichst vernetzte Planung von Folgenutzungen in größere Teilräume gegliedert.

Ein Grund für die zunehmend verbesserte Zusammenarbeit liegt auch in der großen Popularität, die die IBA in der Region schon in ihrer Startphase genießt. Kuhn glaubt, dass die IBA in der Lausitz bei der Bevölkerung jetzt schon bekannter ist, als es ihre Vorgängerin im Ruhrgebiet, die Internationale Bauausstellung „Emscher Park“ am Ende ihrer zehnjährigen Laufzeit war (siehe taz vom 22. 11. 1999). Im Unterschied zur IBA „Emscher Park“, die von der Landesregierung initiiert wurde, ist die Bauausstellung in der Lausitz eine „IBA von unten“. Kommunen, Landkreise und die Stadt Cottbus haben das Risiko auf sich genommen, ohne Rückendeckung durch die Landesregierung Brandenburg eine IBA-Vorbereitungsgesellschaft zu gründen und mit finanziellen Mitteln auszustatten.

Ein Kuratorium mit erfahrenen Leuten, wie dem ehemaligen Berliner Bürgermeister Walter Momper und Karl Ganser, dem Leiter der ausgelaufenen IBA „Emscher Park“, hatte zuvor die Machbarkeit einer Internationalen Bauausstellung in der Lausitz ausgelotet. Hauptaufgabe der Vorbereitungsgesellschaft war es, die Landesregierung mit ins Boot zu holen. Die hat sich jedoch lange bitten lassen. Noch eine Woche vor der entscheidenden Sitzung am 30. März 1999 war nur von der Unterstützung einer regionalen Entwicklungsgesellschaft die Rede. „Wir haben es erst in der Sitzung selbst geschafft. Durch den ungewöhnlich engagierten Einsatz der Sprecher aus den Kommunen und Kreisen hat sich Stolpe davon überzeugen lassen, dass Internationale Bauausstellung der richtige Begriff ist“, freut sich Kuhn. Im Grunde ist er der Landesregierung für ihre zögerliche Haltung sogar dankbar: „Damit hat sie die Region so richtig zusammengeschweißt.“

Die Gemeinden schaffen durch die Projekte zumindest in geringem Umfang neue Arbeitsplätze. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist für die zum Teil gewöhnungsbedürftigen Maßnahmen dann am größten, wenn sich ein konkreter Nutzen ableiten lässt. Für die Begleitung des 5,5 Millionen Mark teuren Umbaus der F 60, die jetzt der Gemeinde Lichtenfeld gehört, hat die Kommune zwei ehemalige Bergleute eingestellt. Ein anderes inzwischen sehr populäres Projekt sind die „schwimmenden Häuser“ auf der neu entstehenden Lausitzer Seenkette. „Die Idee der schwimmenden Häuser galt vielen anfangs als Spinnerei. Dann haben wir mit Kleinunternehmern aus der Region eine Konferenz gemacht und gefragt: ;Wie könnt ihr euch an diesem Projekt beteiligen?‘. Und plötzlich wollen welche Boote bauen, es gibt sogar jemanden, der eine Werft für den Bau der schwimmenden Häuser gründen will“, erzählt Kuhn. Ihm ist es wichtig, dass die Projektideen so schnell wie möglich zu nutzbringenden Projekten für die Region werden. Das gilt auch für den Holzsteg, der durch die Flutung eines Tagebaurestlochs mit dem Wasser aufsteigen und Pritzen wieder mit Alt Döbbern verbinden soll. „Auf diese Weise sparen sich die Bewohner von Pritzen einen Umweg von 18 Kilometern und können morgens zu Fuß wieder frische Brötchen holen.“ Auch dieses Projekt wertet er als einen Gewinn für die Region.

Der tatsächliche Erfolg der IBA wird sich allerdings erst in einigen Jahrzehnten messen lassen. Wenn sich dann herausstellt, dass die neuen Landschaften in der Lausitz Menschen so sehr in ihren Bann ziehen, dass sie dort gerne Urlaub machen und im Restaurant auf der F 60 ihren Kaffee trinken oder Firmen sich auf Grund des neuen positiven Images dort ansiedeln, war die „IBA Fürst Pückler“ ein wirklicher Erfolg. Vor diesem Hintergrund sind zehn Jahre Planungszeit für die vollständige Umgestaltung einer ganzen Region herzlich wenig. Frank Wenzel