Stell dir vor, es ist Mofi . . .

Wahrheit-Reporter vor Ort. Heute: Unter der Wolkendecke

In manchen Nächten, zum Beispiel 1816 und 1964, war die verfinsterte Mondscheibe gar nicht aufzufinden. Das tröstet.

Karlsruhe am Freitag, 4.02 Uhr morgens. Ein Blick aus dem Dachfenster bestätigt die böse Ahnung: kein Mond nirgends. Dabei soll der Mond doch jetzt Stück für Stück im Erdschatten verschwinden und hat damit jahrtausendelang an die tiefsten Ängste der Menschheit gerührt.

5.05 Uhr. Die Totalität beginnt, verdeckt von einer geschlossenen Wolkendecke. Immerhin gelingt der Aufbau des „Finsternis-Modells“ (Kosmos-Verlag) auf dem Esstisch. Im Licht der Taschenlampe segelt der Mond nun prima quer durch den Weltraum, bis er unversehens vom Erdschatten verschlungen wird. Endlos lang scheint er im schwarzen Loch hinter der Erde verschluckt, bis er – kaum zu glauben – wieder frisch und hell auf der anderen Seite als schmale Sichel hervorwächst und die Finsternis bald vergessen lässt.

5.44 Uhr. Die Mitte der Totalität ist erreicht. Dieser Moment hatte bei der großen Sofi im letzten August eine Völkerwanderung Richtung Süddeutschland ausgelöst, weil die totale Verfinsterung nur von einem schmalen Streifen aus für wenige Minuten zu sehen war. Heute mussten keine Sonderzüge eingesetzt werden: Eine Mofi ist immer von der ganzen Nachtseite der Erde aus sichtbar und lässt sich – im Prinzip – von ganz Europa aus beobachten.

Trotz weiterhin dichter Bewölkung entschließe ich mich zu einem Spaziergang durchs Viertel: ein Bäckersauto, ein Hund mit Herrchen, niemand steht mondfinsternissüchtig am Fenster. Umgestürzte Baumriesen liegen kreuz und quer in den Gärten und erinnern an Sturm „Lothar“. Der Mond sollte jetzt eigentlich sehr plastisch und kupferrot gefärbt wie ein Lampion am schwarzen Nachthimmel hängen und ein einprägsames Bild abgeben. (Ein Phänomen übrigens, das auf dem Zusammentreffen dreier optischer Effekte beruht und wie im Physikunterricht nur gelegentlich das vorhergesagte Resultat ergibt: Die Lichtstreuung an der Atmosphäre fängt das Sonnenlicht ein, das sonst an der Erde vorbeistrahlen würde. Außerdem bleiben wie beim Morgen- und Abendrot nur die roten Farbanteile auf dem langen Weg des Sonnenlichts durch die Erdatmosphäre übrig. Diese werden dann zusätzlich an der mehr oder weniger durchlässigen Atmosphäre gebrochen und sind dafür verantwortlich, dass der schwarze Kernschatten hinter der Erde rot erleuchtet wird.)

In manchen Nächten, tröste ich mich, zum Beispiel 1816 und 1964, war die verfinsterte Mondscheibe aber am schwarzen Himmel gar nicht aufzufinden, und 1848 war die „verfinsterte“ Mondscheibe so hell, dass man an der Finsternis zweifeln konnte. Und haben Mondfinsternisse nicht wiederholt Geschichte geschrieben? Etwa 413 v. Chr., als eine Mofi den 27-jährigen Krieg zwischen Athen und Sparta entschied.

Die Athener hatten die Finsternis fälschlich als Warnung vor einem Rückzug verstanden. Sie mussten kapitulieren, verloren ihre gesamte Flotte, 29.000 Soldaten fielen, und Feldherr Nikias wurde hingerichtet. 1504 dann sagte Kolumbus den Einwohnern Jamaikas eine totale Mofi voraus. Zu seiner Freude fand sie auch statt. Und die Ureinwohner waren so beeindruckt, dass sie sich ihm, dem Verfinsterungsgott, und seiner kleinen ausgehungerten Armee trotz ihrer gewaltigen Überlegenheit unterwarfen. Kolumbus und die Seinen bekamen wieder Nahrungsmittel und wurden von einem spanischen Schiff gerettet. Und der Prophet Joel spricht in der Bibel gar von der Verwandlung des Mondes in Blut, mit dem ein gewaltiges Strafgericht für die Menschen beginnt. Will also der blutrote Mond hinter den deutschen Wolken dort oben auch etwas ankündigen? Das Timing immerhin scheint genial . . .

7.21 Uhr. Austritt des Mondes aus dem Kernschatten. Mit einer Tasse heißem Mondphasentee aus dem Reformhaus sitze ich grübelnd am Schreibtisch und warte auf die Tageszeitung, um zu erfahren, wem die Mofi wohl diesmal die rote Karte gezeigt hat. Oder konnte Herr Schäuble am Donnerstag mit seiner Entschuldigung im Bundestag das Verhängnis noch einmal abwenden?

Bernhard Baldas