Der Professor, der doziert und polarisiert

Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der zwischenzeitlich als Interimsvorsitzender der CDU gehandelt wurde, hatte nach eigener Einschätzung „nie eine emotionale Bindung zur Partei“

„Unvorstellbar“, hatte Kurt Biedenkopf der Leipziger Volkszeitung erklärt und sich entschuldigt. Das eigentlich Abstoßende am Spendenskandal in Hessen sei doch, dass die Juden als Geldgeber vorgeschoben worden seien. „Ich bedaure sehr, dass sich noch niemand bei der jüdischen Bevölkerung entschuldigt hat“, sagte Biedenkopf. Und holte das Versäumnis nach. Entschuldigte sich Biedenkopf im Namen der CDU? Als zwischenzeitlich gehandelter Nachfolger von Parteichef Schäuble? War diese erste offizielle Entschuldigung der CDU ein Signal für seine Bereitschaft?

Natürlich hat der Ende letzter Woche in der CDU laut gewordene Personalvorschlag Charme: Biedenkopf macht einen unbestechlichen Eindruck. Er war immer der Antipol zum Altbundeskanzler Kohl, der zur Zeit die CDU in den Abgrund reißt. Biedenkopf ist als Reformer angesehen. Umfragen sehen ihn als einen der populärsten, wenn nicht gar den beliebtesten Politiker Deutschlands. Zusammen addiert, ergibt das nahezu eine Idealbesetzung der Parteispitze, die sich und die CDU Münchhausen gleich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen muss.

Doch das Ergebnis trügt. Biedenkopf ist als innerparteilicher Krisenmanager gänzlich ungeeignet. Seitdem er vor zwanzig Jahren seines Postens als Generalsekretär enthoben wurde, fehlt ihm jegliche Bindung zum Zentrum der Partei. Nicht nur das. Wie kein anderer innerhalb der Union polarisierte Kurt Biedenkopf – einziger ernst zu nehmender Kohl-Widersacher – sowohl politische Akteure als auch die Basis der Christdemokraten. Die einen nahmen Biedenkopf seine pointierte intellektuelle Überlegenheit gegenüber dem Einheitskanzler übel. Die anderen leben in Sachsen. Dort hat Biedenkopf seine politische Heimat, seine politische Zukunft gefunden. Ausgestattet mit einer exzellenten Mehrheit, bastelt Sachsens Regent an seinem Vermächtnis. Egal ob beim Thema Rente, Umbau des Steuersystems, Sparprogramm oder beim Solidarpakt II: Biedenkopf sucht von Sachsen aus die Reformen der Bundesrepublik anzuschieben, die das Land so dringend braucht. „Es ist die immer kurzatmiger werdende Reformpolitik, die die Menschen verunsichert“, beklagte Biedenkopf in seiner Regierungserklärung. Dagegen will er vorgehen.

Biedenkopfs Stärke liegt auf analytischem Gebiet. Wo andere das Problem noch zu durchdringen versuchen, denkt der selbstbewusste Professor bereits über Lösungskonzepte nach. Derlei Fähigkeiten sind in den CDU-Spendenaffären aber nicht vonnöten. Das Problem ist klar. Was fehlt, sind Klartext, personelle Schnitte und starke Führungsqualitäten. Nicht eben seine Stärken. Wenn Sachsens CDU an ihrem besten Pferd im Stall etwas zu bekritteln hat, dann ist es die Art, wie Biedenkopf Sitzungen abhält. In der Fraktion heißt es – natürlich nur hinter vorgehaltener Hand –, die Arbeitstreffen gerieten dem Regierungschef zuweilen wie Vorlesungen. Professor Biedenkopf doziert, der Rest hört zu und versucht den Ausführungen zu folgen. Als sich Biedenkopf in Nordrhein-Westfalen in der Landespolitik versuchte, scheiterte er auch an Kommunikationsproblemen gegenüber den Funktionären.

Zudem pflegt sich Sachsens Regierungschef bei der Umsetzung seiner Konzepte dezent zurückzuhalten – dafür hat er seine Leute. Mittlerweile überlässt er die aktuelle Tagespolitik voll und ganz seiner Ministerriege. Biedenkopf denkt vor. Akteure sind die anderen. Stattdessen widmet er sich lieber seinem Vermächtnis. Eine parteipolitische Blockadepolitik im Bundesrat lehnte er kategorisch ab. Was zählt, ist die Idee, ihre legislative Umsetzung und – vor allem – der Nutzen für die Zukunft.

Bundesarbeitsminister Walter Riester bot Biedenkopf nicht nur seine Mitarbeit beim Thema Rente an. Er formulierte in seiner Regierungserklärung auch gleich die Frage, die sich Riester stellen muss. Die Vermischung von landes- und bundespolitischer Verantwortung, der Solidarpakt II, das weitere Zusammenwachsen Europas oder die Reform im Verwaltungswesen – seine Regierungserklärung ließ keinerlei Zweifel an seiner Arbeitsgewichtung, seiner Mission. Für das Wahlvolk formulierte dies Biedenkopf in seiner Neujahrsansprache so: „Die Aufgabe der Älteren unter uns ist es, unseren Kindern und Enkeln mit ihren Erfahrungen den Weg in eine sichere Zukunft zu bereiten.“ Biedenkopf will sie gestalten. „Im Kleinen wie im Großen.“

Biedenkopf hat sich bei den Juden nicht als bereitstehender Schäuble-Nachfolger entschuldigt. Er tat dies einfach nur als Mensch Biedenkopf. Was aber, wenn die Partei ihn in naher Zukunft womöglich doch noch bittet, wenigstens für eine Übergangszeit den Parteivorsitz zu übernehmen? Es scheint nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich Sachsens Regent dazu erweichen ließe. Die Wahrscheinlichkeit ist aber allenfalls gering. Eine Biografie zitiert Biedenkopf: „Ich habe nie eine emotionale Bindung zur Partei gehabt.“ Nick Reimer, Dresden