Russen als Kanonenfutter abgeschoben?

■ Ausbruch aus Bremer Abschiebehaft: Junger Russe bezwang Mauer und Natodraht / Beobachter fordern Duldung für mögliche russische Kriegsdienstverweigerer

Ein junger Russe ist am Wochenende aus dem neugebauten Abschiebegewahrsam beim Polizeipräsidium in der Vahr entkommen. Der Mann hatte sich offenbar an Fenstergittern bis auf die mehrere Meter hohe Hofmauer emporziehen können, ohne dass die Überwachungs-Kamera diesen Bereich erfasste. Dann zwängte der Flüchtling sich oben unter dem Nato-Draht hindurch und entkam. Ein weiterer Gefangener wurde bei dem Versuch, ebenfalls zu türmen, erwischt und festgehalten, so die Polizei. Jetzt werde man die „Lücke nachbessern“. „Rein von der Optik“ habe man nicht erkennen können, dass das Gelände dort nicht ausbruchsicher sei.

Bei der weiteren Person, die zu flüchten versuchte, handelt es sich um einen seit längerem einsitzenden Russen. Der junge Roman K. soll am morgigen Donnerstag abgeschoben werden, bestätigte der Leiter der Bremer Ausländerbehörde, Dieter Trappmann. Zwar besitze der 19-Jährige keine Passpapiere; einem Beschluss des Amtsgerichts zufolge war er deshalb erst kürzlich aus Abschiebehaft freigelassen worden. Das Gericht war davon ausgegangen, dass das russische Konsulat keine Ersatzpapiere ausstellen werde, weil der Mann dort keine Angaben zur Person machte. Doch kaum 24 Stunden in Freiheit wurde Roman K., der befürchtet, in Russland sofort zum Kriegsdienst gezogen zu werden, wieder festgenommen – als er im Bremer Ausländeramt seine Duldung beantragen wollte. Man habe jetzt doch „einen Weg gefunden“, den 19-Jährigen abzuschieben, bestätigte Trappmann, der sich aber nicht näher äußern wollte.

Rechtsanwalt Hans Meyer-Mews geht auf Grund einer dokumentierten Mitteilung der Ausländerbehörde unterdessen davon aus, dass sein Mandant ohne Papiere abgeschoben werden soll. Ihm liegen Informationen vor, wonach beim deutschen Konsulat in St. Petersburg „ein russischer Kommandeur der Grenztruppen“ vorgesprochen habe. Dieser habe eine baldige „Überstellung“ von Roman K. „zur Feststellung der Identität“ erbeten. „Wenn das nicht gelingt, kriegen wir ihn vielleicht zurück“, räumt Amtsleiter Trappmann ein.

Ghislaine Valther von der Gruppe „Grenzenlos“, die den jungen Mann kürzlich in Haft besucht hat, warnt jedoch vor einem solchen Vorgehen. Roman K. sei wehrpflichtig. Der 19-Jährige, der als Minderjähriger nach Deutschland einreiste und nach einer Asylablehnung schon länger als ausreisepflichtig galt, habe Angst, in den Krieg geschickt zu werden. „Wer ihn jetzt abschiebt, präsentiert ihn den Russen als Kanonenfutter auf dem Silbertablett“, sagt sie. Es sei unerträglich, dass betroffene junge Männer nicht mindestens eine Duldung bis zum Kriegsende erhielten. Auch der entflohene Russe, nach dem jetzt gefahndet wird, habe befürchtet, zum Militär zu müssen. „Aus meiner Sicht nehmen die Fälle in Abschiebehaft zu, in denen Männer fürchten müssen, umgehend vom russischen Militär kassiert zu werden“, so Valther.

Ein solcher Fall war auch der Russe Nikolai W. Fünf Monate hatte er in Abschiebehaft gesessen, bevor er nach Weihnachten frei kam. Der ausreisepflichtige Russe hatte angegeben, zuletzt in Grosny gelebt zu haben. Das hatte die Überprüfung seiner Identität und die für der Abschiebung nötige Ausfertigung von Passersatzpapieren erschwert. Doch als Grosny im Dezember schon voll unter russischem Beschuss lag, versuchte das Ausländeramt noch, ihn in Haft zu halten. Zugleich formulierte es, es sei „zur Zeit äußerst schwierig, irgendwelche Informationen aus Grosny zu bekommen. Wir könnten es dennoch probieren.“ Der Anwalt des Russen konstatierte, mit dem Versuch, nach Tschetschenien abzuschieben, beweise das Ausländeramt „fehlende Sensibilität“. ede