Wenn Männer Abgang machen

■ Am „Logenhaus zu Berlin“ ging am Wochenende kein Kelch vorbei. Ein persönliches Protokoll der bedeutendsten Weinmesse der Hauptstadt

Um 16 Uhr hat sich die Gesichtsfarbe vieler Besucher vom vormaligen Tieflachs ins schreiende Ampelrot gewandelt. Die Weinmesse im Logenhaus in der Neuköllner Emserstraße hat begonnen.

Um 16.20 Uhr nuschelt ein stiernackiger, kurzgeschorener Mittdreißiger seinem Weinfreund unüberhörbar zu: „Großbritannien bring ick am ehesten mit Whiskey in Verbindung.“

Um 16.30 Uhr kaut der Stiernacken an einem anderen Stand den Riesling so heftig, als ob er aus Hartgummi wäre. Eine Frau um die Vierzig mit allen Chancen der Welt beugt sich nah zum Vertreter eines spanischen Weinhandels, wedelt dabei mit ihrem ethnoartigen Überwurf (Poncho?) ein Stückchen Weißbrot zu Boden und fragt: „Ich hatte im Urlaub einen so schönen Rotwein, haben Sie auch Weine aus Mallorca?“

Um 17.05 Uhr versucht ein dicklicher, schwitzender Mann in den H&M-Farben der Saison (Rosa und Grau), seinem Weinfreund den Bordeaux zu erklären, den er letztes Jahr probieren durfte: „Dieser Abgang, dieser Abgang!“ Dann legt er selbst einen hin: Er vertritt sich bei der letzten Treppenstufe, die in das Erdgeschoss führt, taumelt noch zwei erstaunlich große Schritte Richtung Champagnerbar und schlägt dann wie ein abgesägter Mammutbaum mit kämpferisch emporgestreckter Faust in der Mitte des Raumes hin. Nachdem schon einige weinblinde Menschen mehr oder weniger elegant fast über ihn hinweggestiegen sind, helfen ihm zwei nette Männer auf. An einem Stand mit französischem Sekt sagt der trés chique gewandete Verkäufer zu einem bärtigen, schielenden Interessenten: „Iesch gäbe Iehnen noch ein letztö Chance, zu erraten, was iesch abe ier in die Glas.“ Der Schieler kaut mit angestrengtem, in sich gekehrtem Blick. „Einö Tiep“, sagt der Händler. „Es iest die Pendant zu ein bekannte Traube ...“ Der Schieler versucht es zögernd mit „Sekt ...?“. Der Verkäufer lächelt abfällig und wissend zugleich.

Nebenan erklärt ein anderer Sektexperte einem Besucher ein silbernes, zahnarztbohrerähnliches Gerät mit dem Namen „The Bubble Brush“. Mit dessen diamantener Spitze soll man auf dem Boden eines Glases herumkratzen, um den „Moussierpunkt“ neu zu definieren bzw. zu finden. Das scheint eine Art G-Punkt für Gläser zu sein, die feinen Sektbläschen perlen von dort aus los. Und wenn man pleite ist, kann man die Diamantenspitze verkaufen oder sich einen Ring draus basteln.

Apropos Ring: Im Vorwort des Weinmessenführers macht der „Distriktsmeister“ der Loge darauf aufmerksam, dass „wir Freimaurer mit unserer gut 260 Jahren alten Existenz ...“ „ähnlich dem Riesling auf fast allen Kontinenten verwurzelt“ sind und eine „wahrhaftige Kette aus Brüdern in aller Welt“ bilden. Und irgendwie kann man daraus auch vermuten, was diese merkwürdigen, anscheinend immer noch existierenden Freimaurer wirklich machen, wenn sie sich treffen: nichts von der Mystik des „Focaultschen Pendels“, nichts mit Geheimnissen, Brüderschaften und uralten weitergegebenen Wahrheiten. Gesoffen wird halt. Unter Männern. Das ist alles.

Jenni Zylka