Hertie-Stiftungen vor der Pleite?

■ Wird den Steuersparstiftungen der Hertie-Erben die Gemeinnützigkeit aberkannt, muss wahrscheinlich das Land Hessen für deren dubioses, eigennütziges Finanzgebaren haften

Der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung drohen möglicherweise Steuernachforderungen in dreistelliger Millionenhöhe. Wie aus Kreisen der hessischen Landesregierung verlautete, soll der Stiftung rückwirkend bis 1972 die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Dann könnte die Stiftung für bereits getätigte finanzielle Transaktionen zur Kasse gebeten werden.

Die in Frankfurt ansässige Stiftung erhielt 1993 allein für den Verkauf ihrer Hertie-Kaufhausanteile rund 1,6 Milliarden Mark – steuerfrei. Das Vermögen verblieb nicht bei der Gemeinnützigen Stiftung, sondern wurde umgehend an die gewinnorientierte Hertie-Familienstiftung in Hamburg transferiert. Mit dem Geld kaufte diese dann 30 Prozent des Karstadt-Konzerns. 1998 veräußerte die Familienstiftung ihre Karstadt-Anteile an die Firma Schickedanz (Quelle) für 1,8 Milliarden.

Nach Aussage des Bochumer Professors für Steuer- und Verwaltungsrecht, Roman Seer, kann die Steuerfahndung bis zu zehn Jahre zurückliegende Steuerforderungen nachfordern. „Die Frist ist bewußt lang gewählt, um großen Steuersündern keine Möglichkeiten zu geben, zu entkommen.“ Dabei werden alle Geschäfte, die die Stiftung getätigt hat, nachträglich versteuert.

Den Löwenanteil für den Staat mache die Körperschaftsteuer, die in etwa der Einkommensteuer entspreche. Der Steuersatz liege „zwischen 40 und 56 Prozent“, erklärte Seer. Allein für die Verkauf der Hertie-Anteile müßte die Gemeinnützige Stiftung bis zu 800 Millionen Mark entrichten. Fraglich ist, ob die Familienstiftung über genügend ungebundenes Kapital – sprich: flüssige Mittel – verfügt, um der Gemeinnützigen das Darlehen zurückzuzahlen. Nach Aussage des Vorstandes der Gemeinnützigen Stiftung, Klaus Rehmann, liegt das Geld zur Kredittilgung bereit. Dies ist aber zweifelhaft, da die Familienstiftung zumindest ein Teil des Darlehens verwendete, um in Berlin und Potsdam Großimmobilien zu erwerben. Solche Objekte sind zur Zeit schwer veräußerlich.

Würde die Gemeinnützige Hertie-Stiftung die mögliche Steuerschuld nicht begleichen können und Pleite gehen, müßte nach dem hessischen Stiftungsrecht das Land dafür geradestehen. Laut Paragraph 23 des hessischen Stiftungsgesetzes ist das Land nach dem Konkurs einer Stiftung automatisch der Rechtsnachfolger, meint Alexander Müller, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im hessischen Landtag.

Für das 1,6-Milliarden-Darlehen sollte die Gemeinnützige laut Vertrag mit einem Drittel des Gewinns der Familienstiftung beteiligt werden. Allerdings überwies die Familienstiftung nur 8 Millionen Mark pro Jahr an die Frankfurter Stiftung (taz vom 19. 11. 1999). Zu wenig, meinen Kritiker wie Alexander Müller: „Bei einem Kredit von 1,6 Milliarden Mark entsprechen 8 Millionen Mark einer Verzinsung von 0,5 Prozent.“ Das sei weniger als bei einem Postsparbuch, so Müller zur taz.

Er fordert Aufklärung von der hessischen Landesregierung. Bereits im September vergangenen Jahres stellte er einen Berichtsantrag, um Licht in die Vorgänge bei den Stiftungen und die von der taz aufgedeckte Verquickung von Stiftung und Stiftungsaufsicht zu bringen. Eine Antwort sollte Anfang November erfolgen. Doch bis heute blieb diese trotz Nachfrage Müllers aus. Hinter vorgehaltener Hand sei von „Abstimmungsproblemen zwischen den Verantwortlichen“ beim Land und der Stadt Frankfurt die Rede. Mit einer Beantwortung des Berichtsantrags wird nun bis zum übernächsten Haushaltsausschuss am 9. Februar gerechnet.

Während die Politik noch auf sich warten lässt, schafft die Staatsanwaltschaft Fakten. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt durchsuchte Anfang Dezember im Zusammenhang mit der Hertie-Affäre Diensträume im hessischen Finanzministerium. Nach eigenen Angaben ermitteln die Fahnder gegen Ministeriumsmitarbeiter wegen des Verdachts der Untreue. Aus informierten Kreisen wird berichtet, dass auch untersucht werde, ob die betroffenen Mitarbeiter auf Weisung „von oben“, sprich: auf Ministerweisung, gehandelt hätten. Als Grundlage ihrer Ermittlungen dienen den Staatsanwälten zwei der taz vorliegende Anzeigen eines früheren hochrangigen Mitarbeiters der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Eine trägt den Titel: „Die Vermögensverschiebungen zu Lasten der Gemeinnützigkeit.“

Die hessische Wissenschaftsministerin Ruth Wagner (FDP) nimmt die Hertie-Affäre in ihrem Land anscheinend nicht zur Kenntnis. Zu Beginn der Woche stellte sie ihren Gesetzentwurf zur Reform des Stiftungsrechtes vor. „Hessen will die längst fällige Reform des Stiftungsrechts durch einen Gesetzesantrag im Bundesrat voranbringen“, sagt die FDP-Ministerin. Für Müller ist der FDP-Vorstoß eine „Farce“: Der Entwurf löse keines der in Hessen aufgetretenen Probleme. Martin Murphy

und David Schraven