Öko-Deutschland ist Schlusslicht beim Naturschutz

Die Bundesländer verschleppen die Meldung ihrer Schutzgebiete, weil die Wirtschaft protestiert. Die EU-Kommission droht mit Strafen von bis zu 1,5 Millionen Mark täglich

Berlin (taz) – Sie heißen Spanische Flagge, Blauschwarzer Ameisenbläuling oder Heckenwollafter, es geht aber auch um Zollenspieker, Heuckenlock und Kiebitzbrack. Die ersten drei sind seltene Schmetterlinge, die zweite Namensgruppe Schutzgebiete in Hamburg und sie sind nur Beispiele für etwas, was sie mit vielen anderen Tierarten und Gebieten verbindet: das Kürzel FFH, Flora-Fauna-Habitat oder „Fiecher-Flanzen-Heimat“ wie Bundesumweltminister Jürgen Trittin das einmal übersetzte.

Nach dem offiziellen Zeitplan hätte die Bundesrepublik der EU schon 1995 eine Liste der Gebiete vorlegen müssen, die die Kriterien der FFH-Richtlinie erfüllen. Bis jetzt haben das jedoch gerade einmal sieben Bundesländer geschafft. Wegen der Verzögerung drohen Deutschland dieses Jahr nun seitens der EU Bußgelder bis zu 1,5 Millionen Mark täglich, und die Sperrung milliardenschwerer Strukturfonds aus dem EU-Topf.

Italiener, Dänen und Niederländer haben längst ihre potenziellen Natura-2000-Gebiete gemeldet, die Niederländer brachten es auf 20 Prozent ihrer Landesfläche – inklusive der geschützten Flächen auf dem Meer. Deutschland dümpelt mit gerade einmal 1,7 Prozent Landesfläche herum.

Für den Verzug finden die zuständigen Umweltministerien der Länder viele Gründe: Man sei eben noch dabei, die 35 Prozent an Landesfläche zu identifizieren, die geschützt werden sollen, entschuldigt sich Brandenburg. Außerdem habe lange die gesetzliche Grundlage gefehlt, weil die EU-Richtlinie erst 1998 in nationales Recht umgesetzt wurde. Das ist laut Bundesumweltministerium falsch: Nach Ablauf der Übernahmefrist sei die Richtlinie bereits seit 1994 wie nationales Recht zu behandeln gewesen.

Der Grund für das Verschleppen ist wohl eher die Angst vor dem Krach mit den Naturschutzgegnern und vor dem Aufschrei der Wirtschaft. Ohne dazu verpflichtet zu sein, haben viele Länder deshalb aufwendige Beteiligungsverfahren durchgeführt. Über 100 Diskussionstermine haben Länder wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (NRW) angesetzt, um dem zu entgehen, was ihnen nun doch droht: Eilanträge, Beschwerden, Klagen von der Wirtschaft.

Denn besonders Kommunal- und Wirtschaftsvertreter haben Angst, dass sie in den FFH-Gebieten nicht mehr buddeln und bauen dürfen. Dabei wird keinem Bauern verboten, die Wiesen weiterhin zu mähen, wenn er das bisher getan hat, selbst Straßenbaupläne sind – falls bis dahin abgeschlossen – nicht gefährdet (siehe Kasten).

Ein Beispiel für Widerstände ist der Tatenhauser Wald in NRW. Landesumweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) möchte den Erlen-Eschen-Bruchwald, der bisher nicht unter Schutz steht, als FFH-Gebiet melden, und zwar ganze 131 Hektar. Das Wirtschaftsministerium aber will dort die Trasse für die A 33 bauen und beharrt deswegen darauf, nur 60 Hektar zu melden. „Dabei hat selbst das Gutachten für den Straßenbau gesagt, dass der ganze Wald schutzwürdig ist“, sagte Staatsekretär Thomas Griese vom NRW-Umweltministerium. Verlieren wird den Streit wohl so oder so das Wirtschaftsministerium. Denn solchem politischen Hickhack hat die EU vorgebaut: Was nicht gemeldet wird, aber den Kriterien entspricht, holt sich die Kommission selbst. Für die Autobahn muss es dann eine Verträglichkeitsprüfung geben, und im Zweifelsfall eine alternative Trassenführung.

Auch Niedersachsen hat nach der Meldung der zweiten Liste unerwarteten Ärger bekommen. Der niedersächsische Unternehmensverband kündigte für das neue Jahr gleich mehrere Klagen an, da man sich nicht hinreichend berücksichtigt fühlt. Aber Recht auf Anhörung hin oder her, FFH-Experte Claus Mayr vom Naturschutzbund versteht die Aufruhr der Wirtschaft nicht: „Mit der Meldung werden die Gebiete ja keineswegs unter die Käseglocke gestellt.“ Die verschleppten Meldungen hält Mayr vor allem für ein Verständigungsproblem über Sinn und Zweck der FFH-Gebiete.

Der Druck aus Brüssel sei hoch, meint Griese: „Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ist nur deswegen erfolgt, weil Deutschland 1998 genau dasselbe drohte wie heute: Bußgeldzahlungen in Millionenhöhe.“

Maike Rademaker