Mit postmoderner Körperleistung

Die deutschen Volleyballerinnen gewinnen trotz gestriger Niederlage gegen Italien überraschend leicht das Qualifikationsturnier für Olympia ■ Aus Bremen Oliver Camp

Es sollte das große Endspiel in der Bremer Stadthalle werden. Es wurde ein bedeutungsloses Match: Deutschland gegen Italien gestern Nachmittag. Zur Überraschung aller hatten sich die deutschen Volleyballfrauen, keineswegs die Top-Favoritinnen, schon vorher für die Olympischen Spiele qualifiziert, weil sich die Konkurrentinnen aus Kroatien, Italien und den Niederlanden gegenseitig die Punkte abnahmen. Als die abgeschlagenen Holländerinnen gestern Vormittag Kroatien mit 3:2 besiegt hatten, war das folgende 1:3 der Deutschen gegen Italien nur noch von statistischem Wert.

Grundverschiedene Volleyballwelten waren in diesem Sechserturnier, bei dem sich nur der Erstplatzierte für Sydney qualifizieren sollte, aufeinander getroffen: Auf der einen Seite des Netzes die drei westeuropäischen Teams, deren Sportverbände sich in den postmodernen Zusammenhängen aus Medien, Sponsoren, Politik und professioneller Körperleistung bewegen. Auf der anderen Seite die Repräsentantinnen aus Rumänien, Kroatien und der Ukraine, bei denen die sportliche Infrastruktur seit dem Systemwandel drastischen Einschränkungen unterliegt. Dem üppigen staatlichen Sportbeamtentum fehlt das Geld, und die weltweiten Sportartikel- und Lifestylisten investieren lieber in andere, mehr Rendite versprechende Märkte.

Schon bei der Spielkleidung waren die ungleichen Voraussetzungen zu erkennen: Die Ukrainerinnen betraten das Spielfeld mit ballonseidenen Trainingsanzügen in den Nationalfarben Gelb und Blau und wirkten sofort antiquiert angesichts der hochwertigen Funktionsfasern auf der anderen Netzseite. Statt gräulich geschwulstartiger Polsterungen vor den Knien, aufgebügelten Nummern und zu engen Trikotagen im 70er-Jahre-Design trugen die Damen des Westens mehrfarbige Oberteile mit aufwendigen Kragenapplikationen und Sponsorenaufdruck in Bauchnabelhöhe.

Doch nicht nur in der Optik wurde der Klassenunterschied deutlich: Rumäniens Trainer betonte nach jeder Niederlage, dass sein Team erst zwei Tage vor dem Spiel zum ersten Mal zusammen trainiert habe. Die Italienerinnen, in deren Nationalligen die besten Spielerinnen der Welt agieren, konnten eine mehrmonatige, intensive Vorbereitung mit einem üppigen Trainerstab bezahlen.

Beim vorgezogenen Endspiel zwischen den bis dahin ungeschlagenen Teams standen sich am Samstag Kroatien und die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbands (DVV) gegenüber. Dabei ging es nicht nur um einen Sieg für Sydney: Der DVV wollte das Turnier auch zur Profilierung gegenüber anderen Sportarten nutzen und sich in den Medien und bei Sponsoren attraktiv präsentieren. Die kroatischen Volleyballerinnen wiederum kämpfen um Anerkennung für die junge Nation, erklärt Barbara Jelić, die eindrucksvollste Angreiferin des Turniers und Tochter des Nationaltrainers.

Das zweistündige Drama bot alles, was Volleyball zu einer der mitreißendsten Sportarten macht: beeindruckende Schmetterschläge, atemraubende Netzroller, überraschende Pässe, athletische Sprungaufschläge und erfolgreiche Blockaktionen im Sekundentakt. Die Entscheidung zum 3:2 für die Deutschen fiel erst im Tiebreak des fünften Satzes. Selbst das umfangreiche österreichische Pavarotti-Imitat als Oberschiedsrichter und sein noch umfangreicherer Linienrichter trugen mit umstrittenen Entscheidungen zum Erinnerungswert des Spiels bei.

Die Bedeutung der Olympia-Qualifikation für die weitere Entwicklung des Volleyballs in Deutschland war während des Spielverlaufs an der Körpersprache von DVV-Präsident Werner Graf von Moltke abzulesen: Angespannt litt er während der Ballwechsel um sein eigenes Image. Eruptionen dann nach gewonnenen Satzbällen: Da umschlang der füllige Funktionär burschikos den hageren Bremer Bürgermeister und knuddelte ihn hemmungslos. Nach dem Schlusspfiff huschte der ehemalige Zehnkämpfer aufs Spielfeld, um seinen koreanischen Erfolgstrainer Lee Hee Wan im Überschwang zu Boden zu reißen. Erst suhlte er sich mit dem kleinen Coach, dann mit den Spielerinnen. Selbst der Hallen-DJ verlor die Kontrolle und ließ zum geschätzt 39. Mal Wolfgang Petry aus den Boxen dröhnen.

Das rührende Olympia-Happy-End dürfte für eine kurze Zeit vom drohenden Generationenwechsel im deutschen Frauenvolleyball ablenken. Denn die letzten Töchter der DDR, wie Susanne Lahme und andere, die dem mittelmäßigen bundesdeutschen Volleyball derzeit Glanzlichter verleihen, werden nach Sydney ihre Karriere im Nationaltrikot beenden. Auch wenn in Bremen die gerade 20-jährige Angelina Grün besonders umjubelt wurde, weil sie brutal wie keine andere auf den Ball semmelte, und sich hinterher keine so charismatisch freute wie die Diagonalspielerin des USC Münster. Sogar die Jubelattacken des Herrn von Moltke überstand sie, soweit bekannt, unverletzt.