Ein bisschen Wärme für viel Zuneigung

Ohne Heizung durch den Winter, ist nicht einfach, aber aufregend. Vom Leben mit einem Kachelofen berichtet ■ Ole Schulz

Existenzielle Fragen tun sich auf: Übernachte ich woanders,obwohl es am nächsten Tag bitterkalt bei mir sein wird?

Die Nebelschwaden haben sich verzogen, und nachdem zum Milleniumsanfang weiter nichts Schlimmes passiert ist, hat man wieder Zeit, sich alltäglicheren Dingen zu widmen. Zum Beispiel nach den Kohlen im Keller zu schauen. Mein Vorrat ist jedenfalls fast aufgebraucht. Dabei hat der Winter eigentlich gerade erst angefangen. Wer Anfang Januar kaum mehr Kohlen hat, sollte sich aber schleunigst eingestehen, dass er sich verschätzt hat. Wieder einmal, womöglich. Kommenden Winter werde ich bestimmt nicht wieder auf die Billigangebote reinfallen – denn der Heizwert solcher Briketts (eine Tonne für 220 Mark!) ist gleich null.

Seit zehn Jahren lebe ich nun bereits mit einem Kachelofen zusammen, wirklich verstanden habe ich ihn bis heute nicht. Manchmal muss ich mehrmals hintereinander Zeitungspapier entzünden, bis das Holz Feuer fängt; kurz darauf ist der Ofen auf einmal so heiß, dass man sich an ihm die Finger verbrennt. Jeder Kachelofen hat seine Eigenheiten und Macken. Manche kann man schon schließen, wenn die Kohlen nur leicht glühen, andere werden nie richtig warm. In der DDR hatten nicht einmal alle Kachelöfen Verschlussklappen am Abzugsrohr, mit denen der Durchzug gedrosselt werden kann – die einzige plausible Erklärung scheint, dass am Material gespart werden musste.

Viel Zuneigung braucht ein Ofen in jedem Fall, egal ob Ost- oder Westfabrikat. Ein gutes Verhältnis zu ihm sei wichtiger, als eine Freundin zu haben, erzählte etwa ein italienischer Bauarbeiter vor Jahren im Suff von seinem ersten Winter in Berlin-Friedrichshain. Er hätte das ungewohnte Monstrum liebkost, zärtlich umschlungen und gestreichelt, ihm gut zugeredet, zu Mama gebetet und Gott angefleht. Und gelegentlich, oh Mamma mia, habe der Ofen ihm als Dank auch ein bisschen Wärme gespendet.

Bis Ende Oktober habe ich dieses Mal gewartet, bevor ich meinen Ofen angefeuert habe. Denn hat man einmal angeheizt, gibt es kein Zurück mehr: Der Winter hat unweigerlich begonnen, und der Lebensrhythmus ändert sich schlagartig. Täglich muss man Kohlen aus dem Keller die Treppen hochschleppen und Zeit fürs Heizen einplanen. Eine knappe Stunde dauert das schon.

Die Belohnung für all die Mühen ist eine angenehme, wohlige Wärme, die sich langsam im Zimmer ausbreitet. Die Überlebensecke neben dem Ofen, wo Schreibtisch, Sofa und Hochbett neben- und übereinander arrangiert sind, kriege ich auch bei minus 20 Grad noch kuschelig warm. Bestenfalls bei tagelangem Dauerheizen werden Ofenwohnungen in den Wintermonaten zu tropischen Höhlen, in die man sich vor der nasskalten Wirklichkeit zurückziehen kann; ich gebe mich am liebsten Tagträumen von etwas sonnigeren Gefilden hin, lese Bücher wie „Kongofieber“ auf dem Sofa neben dem Kachelofen und verlasse die Wohnung nur ungern. Existenzielle Fragen tun sich auf: Übernachte ich woanders, obwohl es am nächsten Tag bitterkalt bei mir sein wird?

Mit Allesbrennern ist es noch viel komplizierter – ihr einziger Vorteil ist, dass sie schnell heiß werden und man beim Anheizen die Augen schließen kann, um den Flammen zu lauschen, die so schön beruhigend wie ein Wasserfall rauschen. Die Kehrseite des Strohfeuers: Allesbrenner kühlen so schnell wieder ab, wie sie sich erwärmt haben. Außerdem streite zumindest ich mich mit meiner Freundin ständig darüber, wie ihr viel zu kleiner Bollerofen sinnvoll zu heizen ist – ohnehin ist es unmöglich, mit dem kleinen Ding, ein großes Berliner Zimmer warm zu bekommen. Wenn ich mich mit der sparsamen Strategie durchsetze: wenig Luftdurchzug und wenig Koks, statt an einem Tag gleich zwei Eimer zu verprassen, dann gehen die Eierkohlen meistens über Nacht aus, und am Morgen kann man beim Aufstehen seinen eigenen Atem sehen.

Das erinnert an ungemütlichere Zeiten, als in Berlin Wärmestuben weit verbreitet waren, vornehmlich mit Torf und Holz aus Brandenburg geheizt wurde und eine warme Stube ein seltener Luxus war. Die Heizfrage konnte damals schnell zum Politikum werden – so wie bei den Tumulten im Jahre 1863, die als „Moritzplatz-Krawalle“ in die Geschichte der Berliner Straßenkämpfe eingingen.

Schankwirt Schulz war von seinem Vermieter unter dem fadenscheinigen Vorwand gekündigt worden, dass er unerlaubterweise einen Ofen in seiner Kneipe aufgebaut hätte. Aus Protest hängte er an sein Lokal in der Oranienstraße 64 ein Plakat mit der Aufschrift: „Exmittiert wegen Aufstellung eines eisernen Ofens.“ Schulz’ Nachbarn empörten sich über den Vorfall, strömten zusammen, drangen in die Wohnung des Vermieters ein und zerschlugen Scheiben wie Möbel – am Ende rissen sie zur Strafe auch dessen Ofen ein. Als Schutzpolizisten kamen, wurden Barrikaden errichtet – während der drei folgenden Tage kam es zu blutigen Straßenkämpfen in der Gegend.

Um die Jahrhundertwende prägten Berlin steinerne Mietskasernen ebenso wie ihre rauchenden Schornsteine. Die Nachfrage war groß: In Velten nahe der Stadt wurden rund 100.000 Öfen im Jahr aus kunstvollen Tonkacheln gefertigt. Nach kohlenschwerer Luft wie Anfang des Jahrhunderts riecht es in Berlin heute indes nur noch in wenigen Straßenzügen der alten Arbeiterviertel wie Neukölln oder Prenzlauer Berg.

Vor einigen Jahren wollte man den Öfen sogar per Dekret den Garaus machen. Die Idee, bis 2020 per Emissionsschutzverordnung die Vermieter zu zwingen, alle Kohleöfen abzureißen, wurde schließlich aber fallen gelassen – den Vermietern sollte kein zusätzliches Mittel zur Zwangsmodernisierung in die Hand gegeben werden.

Doch der Modernisierungsdruck ist auch so nicht zu bremsen: Wurden 1993 noch 350.000 Berliner Wohnungen mit Kohleöfen geheizt, sind es jetzt nur noch maximal 150.000. In Tiergarten meldeten sich im Dezember nicht mehr als 26 bedürftige Rentner, die beim Bezirksamt Brennholz als Weihnachtsgeschenk abholen wollten.

Wo doch der Strom eh aus der Steckdose kommt, beschränkt sich der Aufwand des Heizens bei den meisten inzwischen sowieso auf einen kleinen Dreh am Rädchen. Die Mehrheit der Hamburger hat diese Handbewegung bereits in den 70ern gelernt: Die AKWs rund um die Hansestadt versorgen seitdem die vielen Nachtspeicheröfen Hamburgs mit dem nach Feierabend überschüssigen Atomstrom. Wer in einer der wenigen verbliebenen Ofenwohnungen lebt, hat es hingegen schwer, überhaupt Briketts zu kaufen – Kohlenhändler gibt es kaum mehr.

Eine Ofenstadt wie Berlin ist da vielleicht nicht umweltfreundlicher, aber irgendwie sympathischer. Gerne erinnere ich mich vor allem an den ätzenden Geruch von Rauch und Schwefel, der einem sogleich in die Nase stieg, wenn man kurz nach dem Mauerfall in Ostberlin aus der S-Bahn stieg. Wie das eben so ist mit nostalgischen Gefühlen: der Anlass muss nicht unbedingt himmlisch sein.