Istanbul droht gewaltige Ölpest

Nach Tankerunfall sind die Strände der türkischen Metropole verdreckt. Hält der Sturm an, könnte die ganze Ladung auslaufen

Istanbul (taz) – Der Anblick hat etwas Surrealistisches. Ein alter, rostzerfressener Tanker, in der Mitte auseinander gebrochen. Während das Heck auf einer Untiefe festsitzt, ragt der Bug gut hundert Meter entfernt wie ein Felsen aus dem Wasser. Seit drei Tagen gehen schwere Stürme über Istanbul. Der russische Tanker „Wolgoneft“, der aus Bulgarien kommend den Istanbuler Hafen Ambarli anlaufen sollte, wurde gestern in den frühen Morgenstunden vom Sturm auf die Küste gedrückt und durch den schweren Seegang auseinander gerissen.

Glücklicherweise gehört die Wolgoneft zur Kategorie der kleinen Tanker. Von den rund 4.500 Tonnen Schweröl sind nach Angaben der Istanbuler Wasserschutzbehörden bis gestern Nachmittag 800 Tonnen ausgelaufen. Der schwere Seegang verhinderte allerdings, dass ein anderes Schiff längsseits gehen konnte, um das verbliebene Öl abzupumpen.

Von den fünfzehn Mann Besatzung wurde niemand verletzt. Zehn Seeleute sind mittlerweile geborgen worden.

Die Wolgoneft ist vor dem westlichen Istanbuler Nobelvorort Florya auf Grund gelaufen. Das ausgelaufene Öl hat bereits mehrere Kilometer Küste verseucht, darunter etliche Badestrände. Florya ist für seine Badestrände berühmt, unter anderem hatte Atatürk hier sein Ferienhaus. Die Behörden hoffen, weiteres Öl vom Strand abhalten zu können, indem sie Barrieren um das havarierte Schiff legen. Doch der Seegang erschwert auch das. Da die Meteorologen weiter stürmisches Wetter angekündigt haben, ist eine größere Katastrophe immer noch möglich. Sollte das gesamte Öl aus der Wolgoneft auslaufen, droht der ganzen Küste des Marmarameeres vor Istanbul eine Ölpest. 15 Millionen Menschen wären davon betroffen.

Die türkischen Behörden drängen seit Jahren auf schärfere Sicherheitsbestimmungen für die Meerengen Bosporus und Dardanellen, insbesondere für Tanker. Die beiden Meerengen, die das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbinden, gehören zu den am stärksten befahrenen Wasserstrassen weltweit. Der Vertrag von Montreux, 1936 abgeschlossen, garantiert sämtlichen Handelsschiffen in Friedenszeiten eine freie Durchfahrt. Insbesondere Russland und die Ukraine widersetzen sich den türkischen Bemühungen, den Vertrag der modernen Schifffahrt anzupassen. Bis heute besteht im Bosporus keine Lotsenpflicht, obwohl für die modernen Riesentanker die Durchfahrt an einigen Stellen zur Millimeterarbeit wird und wechselnde Strömungen die Fahrt zu einem großen Risiko machen. In diesem Jahr wurde beschlossen, die Meerengen mit einer Radarüberwachung auszustatten und weitere elektronische Leitsysteme anzuschaffen.

Die Debatte um die Bosporusdurchfahrt hat sich verschärft, seit westliche Konzerne die Ölquellen am Kaspischen Meer ausbeuten und das Öl per Tanker auf den Weltmarkt bringen. Die türkische Regierung wehrt sich dagegen, dass das gesamte Öl durch den Bosporus verschifft wird und die Meerenge damit quasi zu einer Tankerpipeline wird. Im Moment behilft man sich damit, dass Großtanker nur einzeln den Bosporus durchfahren dürfen und alle anderen Schiffe dann so lange warten müssen. Jürgen Gottschlich