Kommunisten, Schriftsteller, Kung-Fu etc.
: Niemals blind zuschlagen

Warum nicht mal Omas verarschen? In China tobt ein neuer Schriftstellerstreit

In diesen Tagen staunen Chinesen nicht schlecht: Wang Shuo, ein junger Schriftsteller aus Peking, griff in Chinas Medien den Hongkonger Romancier Louis Cha an. Er warf diesem verderbliche Dekadenz und fehlende literarische Seriosität vor. Das Besondere: Wang Shuo selbst galt zwischen 1990 und 1992 als der bekannteste „Lumpendichter“, der damals in zahlreichen Nonsenserzählungen und Fernsehsoaps Seriosität jedweder Art verhöhnt hatte.

Es war Wang Shuo, Sohn aus einem Elternhaus mit Armeehintergrund, der heilige Mao-Zitate mit Pekinger Lumpenjargon vermischte, um die Seriosität der KP Chinas aufs Korn zu nehmen. Es war Wang, der den Ernst der alles rettenden Schriftsteller Chinas ins Lächerliche zog: „Ihr schreibt auch alle über die Sorge um die Nation? . . . Kann nicht einer von euch Omas und Opas verarschen, so zur Abwechslung?“ Dass Wang Shuos literarische Verhöhnung alles Seriösen in einer möchtegernbürgerlichen Gesellschaft im möchtegernkommunistischen China damals über die Bühne hatte gehen können, hatte wenig mit der Einsicht der KP zu tun, freie Meinungen zuzulassen. Vielmehr plädierte die Parteiführung selbst für eine neue Strategie: Die zwischen erbarmungslosem Manchester-Kapitalismus und immer wieder aufbrausenden Kampagnen der Gehirnwäsche (zum Sozialismus wie zum Nationalismus) eingeklemmten Chinesen sollten sich getrost zerstreuen – die Partei gab ihren Segen.

Nach dieser Strategie war bald nicht mehr die richtige Gesinnung, sondern die wirkungsvolle Form der Unterhaltung ausschlaggebend. Wang Shuo und seine Autorentruppe „Zentrale der künstlerischen Schöpfung Seepferde“ in Peking produzierten bald Fernsehsoaps am Fließband, ohne „richtige Botschaft“, auf die Einschaltquote schielend. Höhnisch nennen sich diese Autoren „Maurer mit vergoldeten Schriftzeichen“.

Um Marktanteile ringen freilich noch andere Autoren. Das beliebteste Genre bilden die Kung-Fu-Romane. Der beliebteste Autor: besagter Louis Cha aus Hongkong. Auch der über 70-Jährige schrieb mit Vorliebe über Lumpen. Jedoch vertreten seine Lumpen gesellschaftliche Werte. Sie sind chinesische Robin Hoods und selbstlose Pietisten. Zudem sind Louis Chas Lumpen buddhistisch gesinnt. Die Kung-Fu-Kämpfer, moralisch legitimiert, atmen in sich hinein, schließen die Augen, lassen Energien aller Sorten autosuggestiv aufkommen, dann schlagen sie zu, gnadenlos und rachsüchtig.

Louis Chas Erfolge als Entertainer auf dem Festlandchina sind nicht zu verachten. Einer nach dem anderen wurden seine Romane verfilmt, illustriert und raubkopiert. Mitsamt Raubkopien, so die Schätzung chinesischer Behörden, erreicht Louis Cha eine Auflage, die nur hinter der Auflage von Werken Mao Tse-tungs rangiert. Da drücken Chinas Medienaufpasser gerne beide Augen zu nach dem gleichen Motto: Es lebe die Unterhaltung! Erst recht die Massenunterhaltung!

Dennoch bedeutet der Zweikampf des Lumpendichters gegen den Kung-Fu-Romancier weit mehr als nur ein Ringen um den Markt. So jedenfalls sehen es Chinas Leser, die sich flugs in zwei Lager aufteilen: Das Lager um den Pekinger Schriftsteller Wang Shuo rechnet mit dem Kung-Fu-Roman überhaupt ab und erhält dabei Applaus vor allem von der ideologisierten KP-Linken. Die hätte noch Anfang der 90er, als Wang Shuo das KP-Kauderwelsch durch den Kakao zog, alles in Bewegung gesetzt, um Wang Shuo als einen ideologisch Abtrünnigen zu verbieten.

Nun pflichten viele dem ehemaligen Ketzer bei: „Kung-Fu-Romane legalisieren eine Verrohung der Gesellschaft literarisch und plädieren offen für verbreitete Gewaltanwendung.“ Literarisch wertlos sei der Schund, da die Charaktere ohnehin schablonenhaft und Vorurteile fördernd seien.

Das Leserimperium Louis Chas schlägt mit derselben Waffe zurück: Nicht die Kung-Fu-Meister, die bei Louis Cha immer genau wissen, was gerecht ist und was nicht, sind Störenfriede der gesellschaftlichen Harmonie. Sondern diejenigen, für die jeder Wert aus Chinas Tradition nur zum Verhöhnen da ist. Nicht Qigong-Übende, die sich stets um die Selbstfindung und Selbstveredlung bemühen, sondern die Gassenlumpen der MTV-Generation sollen sich fragen lassen, was menschlicher Charakter und literarische Charaktere heißen. Zudem, besonders zum Staunen der Öffentlichkeit, schreibt die Zeitung der Volksbefreiungsarmee eigens zum Literatendisput: „Die jüngeren Menschen in unserem Lande sollen endlich von ihrer Elterngeneration lernen, was es heißt, als Einzelkämpfer gegen die Übermacht des Bösen zu kämpfen; was es heißt, trotz aller Probleme die Fassung zu bewahren; was es heißt, dass ein jeder die Verantwortung für die Nation trägt, so wie Louis Cha dies in zahlreichen Romanen in Figuren der Kung-Fu-Helden mit Liebe zu ihrem Vaterland illustriert hat!“

Indes haben einige chinesische Internetmagazine Leserbefragungs-Homepages eingerichtet mit Fragen wie: „Für wen stimmen Sie? a) für Wang Shuo; b) für Jin Yong [Louis Chas Pseudonym im Chinesischen] – Finden Sie Wang Shuos Attacke gerechtfertigt? Finden Sie Jin Yongs Reaktion adäquat?“ Die Ergebnisse der Befragung sind noch ungewiss. Fest steht allerdings schon, dass die Werbeeinnahmen diverser Internetmagazine sprunghaft angestiegen sind.

Shi Ming