Die Völker werden in ihrem Lichte wandeln

In den Sechzigerjahren zogen sie von Stuttgart ins gelobte Land – aus Angst vor dem „großen Krieg“, den das Jahr 2000 laut Prophezeiung mit sich bringen würde. Etwa 250 deutsche Christen leben in dem Kibbuz „Beth El“, dem Haus Gottes, im Norden Israels. Nun steht das neue Millennium bevor, und die christlichen Zionisten sind? Gelassen. Warum auch nicht, haben sie sich doch die Gnade Gottes erworben. Eine Reportage über Nussbaumschränke und Endzeitstimmung von Susanne Knaul

Das „tausendjährige Friedensreich auf Erden“ kündigt Johannes in seiner biblischen Offenbarung an, und die Menschheit steht, so glaubt eine Gruppe deutschstämmiger Christen, schon dicht davor. „Schlag nach in der Bibel“, rät Bruder Reinhold, dort sei ganz genau beschrieben, „womit wir zu rechnen haben“.

Der freundliche Endfünfziger in grauem Wollpullunder gehört zu einer Gruppe von rund 250 Christen, die im Norden Israels eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft errichtet haben. „Beth El“, zu Deutsch das „Haus Gottes“, heißt dieser einzige christliche Kibbuz. Vor dreißig Jahren kamen die ersten Anhänger der kleinen Gemeinde ins Heilige Land, um dem „von Gott auserwählten Volk“ nahe zu sein. „Wer Israel segnet, wird wieder gesegnet“, erklärt Bruder Reinhold, der auch nach der langen Zeit, die er schon in Israel lebt, seine heimische schwäbische Mundart nicht abgelegt hat.

Nur nach Voranmeldung und auf entsprechenden Knopfdruck öffnet sich das riesige Eisentor zum Firmengelände der „Rainbow“-Kompaktanlagen für den Schutz bei ABC-Angriffen. Die Produktionsanlage wird ausschließlich von Gemeindemitgliedern betrieben. Einzig für das Marketing wurde ein Israeli engagiert.

Im Empfang sitzen drei große blonde Frauen. Ihr Erscheinungsbild lassen Assoziationen an den Film „Der einzige Zeuge“ mit Harrison Ford aufkommen. Die Frauen haben alle dichte, lange Haare, die sie zu einem Dutt hochgesteckt haben, und sie tragen altmodische Kittel, keusch bis zum Hals zugeknöpft. „Wir haben bei uns keine Kleidungsvorschriften“, sagt Bruder Gerhard, der wie Bruder Reinhold unüberhörbar schwäbischer Abstammung ist. Und doch: „Den Frauen werden niemals die Haare geschnitten.“ So schreibe es die Bibel vor.

Von den Empfangs- und Verkaufsräumen aus gibt ein Fenster den Blick auf die modernen Produktionsanlagen frei. Druckausgleichsgeräte und Filter werden hier hergestellt und sind in jeder Größe erhältlich. Selbst Bürohäuser und Hotels lassen sich von „Beth El“ auf den Ernstfall vorbereiten. Am runden Tisch, wo in der Regel Verkaufsverhandlungen geführt werden, geben die beiden Glaubensbrüder Reinhold und Gerhard trotz ihrer großen Freundlichkeit nur zögernd Auskunft. Sie machen keinen Hehl daraus, dass ihnen „Publicity alles andere als zusagt“.

Schon zu oft seien sie falsch verstanden und missinterpretiert worden. Anfang 1998 machte „Beth El“ Schlagzeilen, als der irakische Präsident Saddam Hussein Israel mit Raketenbeschuss drohte. Das plötzliche Interesse der Journalisten hatte allerdings nichts mit Glaubensfragen zu tun, sondern mit dem in „Beth El“ hergestellten Produkt, das in Krisenzeiten besonders begehrt ist.

Für den privaten Gebrauch geeignet sind die kleinen Luftreinigungsmaschinen, die bei Stromausfall auch per Hand bedient werden können. In einem eigens für diesen Zweck eingerichteten Zimmer demonstriert Bruder Reinhold, wie leicht der Blasebalg zu betätigen ist. Während er das Gerät an die entsprechende Öffnung in der Wand montiert, schließt Bruder Gerhard die Tür, damit „die Situation möglichst echt“ simuliert wird.

Die Szene erscheint unwirklich, und das gesamte Ambiente in dem mit altmodischem Sofa und Nussbaumschrank möblierten Zimmer passt wohl eher dazu, neue Mitglieder für eine Kleingartenkolonie zu werben. Zwei Minuten später dringt, begleitet von leisem Brummen, nur noch „garantiert giftgasfreie Luft“ herein. „Nimm die Maske ab und schlaf in Sicherheit“, rät der Werbeslogan über dem Bild mit zwei neben der Luftreinigungsmaschine schlafenden Jungen. Entwickelt wurde das Gerät in Gemeinschaftsarbeit mit „ein paar Büchern und der Hilfe Gottes“.

Die Brüder Reinhold und Gerhard gehören zu den Christen, die dem Ruf der „barmherzigen Schwester“ Emma Berger folgten. In den Sechzigerjahren brachte sie eine Gruppe frommer Christen aus Stuttgart nach Israel, in der Annahme, dass das der sicherste Ort sein würde, wenn „im Jahr 2000 der große Krieg ausbricht“. Von „Plagen“ berichtet die Johannes-Offenbarung, von „Pest und Trauer und Hunger“. Doch wer sich auf die Seite des „auserwählten Volkes“ stellte, habe nichts zu befürchten, so predigte Emma Berger bis zu ihrem Tod vor gut zehn Jahren.

Die „christlichen Zionisten“, wie sie sich selbst bezeichnen, siedelten sich unmittelbar in der Gegend der Stadt Sichron Jaakow an und lebten über Jahrzehnte in völliger Abgeschiedenheit. Trotzdem machte sich Misstrauen in der Nachbarschaft breit. Vor allem in den ersten Jahren sei der Landkauf der Deutschen von Demonstrationen begleitet gewesen, bei denen sogar Steine und Molotow-Cocktails flogen. Die frommen Christen schickten ihre Kinder mit Bonbons zu den Demonstranten und bewirkten durch ihr völlig unaggressives Verhalten eine Beruhigung der Nachbarn.

Über die „Engel von Sichron Jaakow“ schrieb Ende letzten Jahres die Tageszeitung Haaretz. Ein paar junge Männer aus „Beth El“ hatten damals geholfen, einen Waldbrand zu löschen. „Wer sind die denn“, soll ein Polizist gefragt haben, als die „fremden Blondschöpfe“ ankamen, ihre Rauchmasken aufsetzten und anfingen, das Feuer auszuschlagen. „Fleißigkeit und Hingabe – das sind die Deutschen“, kommentierte damals ein Anwohner.

Die Gemeindemitglieder reden sich mit dem Vornamen an; nur bei älteren Mitgliedern wird aus Höflichkeit der Begriff Bruder oder Schwester vorangestellt. „Wer an Jesus glaubt, gehört zur Gottesfamilie“, so ihre Begründung für den Verzicht auf Formen. Genauso wenig sind Hierarchien gefragt. Die Leute arbeiten, „wo sie gebraucht werden“. Im Speisesaal und in der Wäscherei wird regelmäßig rotiert. Die Gemeinde erzeugt den wichtigsten Teil der Nahrungsmittel – wie Milch, Fleisch und Gemüse – selbst, und die Mitglieder gehen im Vertrauen auf „Gottes Heilkraft“ niemals zum Arzt. Alle Einnahmen kommen in die Gemeinschaftskasse.

Abgesehen davon, dass „Beth El“ an keinen Dachverband angeschlossen ist, sondern völlig autonom wirtschaftet, ist das Kollektiv wie ein normaler Kibbuz organisiert. Nur dass hier nie gestritten wird, was „eben so ist, wenn der Mensch durch den Glauben von seinem Ego befreit ist“.

Kleinbürgerlich ist der Begriff, der wohl am besten die Atmosphäre in „Beth El“ trifft. Dafür aber auch: harmonisch. Die Leute sind auffallend freundlich, fleißig und vor allem gottesfürchtig. Auf die Frage, ob mal jemand über die Stränge schlägt und die Regeln nicht befolgt, reagiert Bruder Reinhold mit Unverständnis.

Die Vorstellung, dass in seiner Gemeinde etwa Ehebruch begangen wird, scheint seine Fantasie zu übersteigen. Die große Mehrheit der Gruppe stammt aus Schwaben, wo noch etwa die Hälfte der Gemeinde lebt. Aber auch aus Holland und aus der Schweiz schlossen sich einzelne Mitglieder an. „Ich war Protestant, meine Frau Katholikin“, erklärt Bruder Reinhold. „Als wir gläubig wurden, brauchten wir die Kirche nicht mehr.“

Über das Wesen ihres Glaubens geben die Leute nur ungern Auskunft. Um ihn zu verstehen, müsse man ihn leben, sagt Bruder Reinhold und lässt durchblicken, dass ein Fremder seine Lebensart kaum nachvollziehen kann, rät jedoch wiederholt dazu, die Bibel zu lesen. Ein zentraler Punkt ist wohl, dass die Gruppe nicht missioniert, sondern der Bibel nach wortgetreu in den Juden das „von Gott geliebte Volk“ sieht, dem die Christen dienen sollten.

Mit dieser Haltung dürfte der Staat Israel im Grunde kein Problem haben, dennoch macht das israelische Innenministerium den deutschen Christen das Leben schwer. Wer keine Aufenthaltsgenehmigung hat, muss regelmäßig das Land verlassen, um anschließend mit Touristenvisum wieder neu einzureisen. „Diese Auslandsfahrten haben uns schon ein Vermögen gekostet“, klagt Bruder Gerhard.

Die christlichen Zionisten von „Beth El“ sehen der Zukunft dennoch gelassen entgegen. Mit Gottes Hilfe wird es schon gehen. „Wir halten uns an das Neue Testament“, erklärt Bruder Gerhard und betont, dass die Gruppe keinerlei Kultgegenstände hat, keine Kruzifixe oder Jesusbilder. „Das Wort Gottes ist real. Es wird in Erfüllung gehen“, sagt er. Und das offenbar schon sehr bald. Die genaue Stunde habe sich Gott vorbehalten, „aber wir sind dicht dran“.

Bruder Gerhard liefert Beweise: Die massive Einwanderung der Juden aus Russland und anderen Ländern ist „ein deutlicher Beweis, dass wir in der Endzeit leben“. „Am Ende der Tage will ich euch wiederbringen in euer Land Israel“, zitiert Bruder Gerhard das Buch der Propheten. Erst nach der großen Gerichtskatastrophe, die „viele Menschen das Leben kosten wird“, beginne der tausendjährige Frieden.

„Und die Völker werden in ihrem Lichte wandeln“, schreibt Johannes. Damit sei das 7. Jahrtausend gemeint.

Wann das komme? Dieses Datum ließe sich leicht errechnen, sagt Bruder Gerhard. Viertausend Jahre biblischer Zeitrechnung vor Christus plus zweitausend Jahre nach Christus ergibt: „Der tausendjährige Frieden steht unmittelbar bevor.“

Susanne Knaul, 38, lebt seit Herbst 1989 in Israel. Von dort berichtet sie für die taz, den „Freitag“ und das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“