Einfach nur Krrch

■ Britzeln, Brummeln, Brodeln: Die Hörbar veranstaltet ihr Ausklangfestival zur Förderung experimenteller Musik

Viele von ihnen operieren seit Jahr und Tag an Schnittstellen, weit ab vom elektronischen Konsens, weit ab vom Alltäglichen. Die anderen gesellten sich erst in letzter Zeit zu ihnen. Mit dem Ziel, in diesem Jahr das traditionelle Ausklangfestival des „Vereins zur Förderung experimenteller Musik“ ( hörbar), zu gestalten, werden die lokalen, nationalen und internationalen Spezialisten am kommenden Dienstag und Mittwoch mit Konzerten, DJ-Sets und Media-Manipulationen den letzten Stand ihrer Disziplinen dokumentieren. Es ist der „der letzte Dekonstruktiv vor der ewigen Baustelle“ (Loboto).

Das Festival eröffnet mit Chris-toph de Babalon, Kapotte Muzik, Jetzmann und Windfahnenamt. De Babalon ist einer dieser Abtrünnigen, die es in letzten Jahr von Hamburg nach Berlin verschlagen hat.Trotz dieser Todsünde bleibt der junge Mann mit dem harmlosen Aussehen eines Techno-Schönlings einer der profiliertesten Vertreter des elektronischen Untergrunds. Auf seinem mit Paul Snowden initiierten Label Cross Fade Enter Tainment veröffentlichte er sperrige Elektronik-Hybride, sein Debüt mit dem sektiererischen Titel If You're Into It, I'm Out Of It erschien bei Alec Empires Digital Hardcore Recordings. Fürs Festival kündigte er eine DJ-Performance an, die – wenn sie nur halb so böse wie zuletzt im Westwerk ausfällt – für nachhaltiges Ohrensausen sorgen wird – süßer die Glocken nie klingen. Vielleicht macht er aber auch noch mehr Krrch.

Unseren holländischen Freunden Kapotte Musik ist jedes Mittel recht, um im ständigen Sound-Recycling zu neuen Ufern vorzustoßen. Als Urgestein der musique concrète entwickelten sie im Verlauf der letzten Jahrzehnte ihre Fähigkeit, selbst gemeinsten Geräuschen etwas Poesie zu entreißen. Wahlweise machen sie einfach nur schönen Krrch. Derweil verspricht „Jetzmanns weihnachtliche Festplatte“ nicht weniger als „Posen und Extase, alte Freunde und Mini-Disc-Poeme“, und die „Abteilung für akustische Haushaltshilfen des Windfahnenamts“ will zum Rechnungsquartal 4/99 die Archive entrümpeln, um ihr Material unter Verwendung von Plattenspielern, Thereminvox und „elektrospagütischer Klangbearbeitung“ vorzustellen. Toll. Möglicherweise machen sie auch einfach nur Krrch. Ähnliches gilt wohl für Silk Gate (elektro-akustisches Stimmgewirr) sowie die Plattenreiter Malte Steiner und TBC / Thomas Beck.

Der zweite Tag sorgt für weitere Höhepunkte. Hinter dem behäbigen Pseudonym Artificial Memory Trace verbirgt sich der in Belgien lebende Tscheche Slawek Kwi, dessen gestalterische Indikative mehreren Kontaktmikrofonen und akustischen Objekten entspringen. Kürzlich war er mit Klangkrieg im Metropolis zu erleben. Das Hamburger Duo, Tim Buhr und Felix Knoth alias Felix Kubin, bringt sein aktuelles Projekt zu Gehör, bei dem sich alles um Gasleitungen, Heizungsrohre und ihre Geräuschwelt dreht. „Rohrleitungen. Fliesensysteme, was wohin fließt, wie es sich durchmischt,“ so Knoth in Spex. „Als würde man mit der Kamera in einen Wandanschluss tauchen, und diesen verzweigten Bahnen des Unsichtbaren folgen.“ Eventuell finden sie auch einfach nur feinsinnigen Krrch.

Wir wissen nicht, was die große alte Dame der Hamburger Atonalmusik, Asmus Tietchens, meint, wenn er damit droht, seine „Bänder des Winters“ zu präsentieren. Aber schon das Motto des Abends, „Strenge Belehrung und mildes Wirken“, verspricht zumindest einen dynamischen Verlauf. Und überhaupt, kann Tietchens enttäuschen? Nein, selbst wenn er einfach nur Krrch machen würde.

Lars Brinkmann

Christoph de Babalon, Kapotte Muzik, Jetztmanns weihnachtliche Festplatte, Windfahnenamt, TBC, Malte Steiner, Silk Gate: Di, 28. Dezember

Artificial Memory Trace, Klangkrieg, Asmus Tietchens, St. Martin, baze.djunkiii, Meisterklasse: Mi, 29. Dezember, jeweils 21 Uhr, B-Movie